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NZZ am Sonntag, 13.06.2004, Nr. 24, S. 21
Hintergrund
AA Auswärtige Autoren
Eine
leidige
Herzensangelegenheit
Charles de Bourbon, Rentner, will Frankreichs Königsthron. Von Gian Signorell
Für Aussenstehende war die Zeremonie nicht viel mehr als skurril. Für den fünfundsiebzigjährigen Charles de Bourbon
ein
harter Schlag. "Es gibt keine Gerechtigkeit. Ich durchlebe zurzeit schwierige Momente", sagt de Bourbon. Nach einer feierlichen Messe ist am Dienstag vor den Toren der französischen Hauptstadt das Herz des Königs Ludwig XVII. in der Basilika von Saint-Denis beigesetzt worden, unter Anwesenheit von Tausenden von Royalisten und Schaulustigen.
Die Feierlichkeiten sollten einen Schlussstrich setzen unter die seit 200 Jahren andauernde Irrfahrt des königlichen Herzens und den legendenumrankten Tod des jungen Königs endlich zum historischen Faktum machen. Offiziell soll nunmehr gelten: Ludwig XVII. starb, eben erst zehn Jahre alt geworden, am 8. Juni 1795 im Gefängnis des Temple, allem Anschein nach an der Tuberkulose.
"Alles ganz falsch", sagt Charles de Bourbon. Das Herz, das am letzten Dienstag in der Basilika von Saint-Denis beigesetzt worden ist, sei mitnichten dasjenige Ludwigs XVII., sondern das Herz "irgendeines Habsburgers". Denn, so de Bourbon, der junge König habe überlebt, habe sogar Nachkommen gehabt. Justement er selber, Charles Louis Edmond de Bourbon mit vollem Namen, sei Ludwigs direkter Nachfahre und damit Anwärter auf Frankreichs Königsthron. "Um die Zeremonie in der Basilika von Saint-Denis zu verhindern, habe ich Briefe geschrieben ans Innenministerium und ans Kulturministerium. Das Innenministerium hat nicht geantwortet, das Kulturministerium blieb in seiner Antwort völlig unverbindlich", sagt Thronanwärter de Bourbon, der bis zu seiner Pensionierung als Techniker beim französischen Flugzeughersteller Dassault gearbeitet hat.
Der Kampf um Frankreichs Thron hat Tradition in der Familie de Bourbon. Den Anfang machte Charles de Bourbons Urgrossvater, der 1795 geborene Uhrmacher Karl Wilhelm Naundorff. Annähernd hundert windige Gesellen haben zu Beginn des 19. Jahrhunderts von sich behauptet, der entkommene Ludwig XVII. zu sein - darunter, nach Darstellung einer Historikerin, auch
ein
Brasilianer und
ein
Indianer vom Stamme der Irokesen. Naundorff gab den König am überzeugendsten. So glaubwürdig spielte er seine Rolle, dass der niederländische König ihm erlaubte, sich Louis-Charles de Bourbon zu nennen. Naundorff starb 1845 in der holländischen Stadt Delft an Typhus. In seinen Grabstein liess man meisseln: "Hier liegt begraben Ludwig XVII. von Frankreich, auch bekannt als Karl Wilhelm Naundorff."
Knapp hundertfünfzig Jahre später liess 1993 der belgische Forscher Jean-Jacques Cassiman vom Zentrum für Humangenetik an der katholischen Universität von Löwen die Gene sprechen. Er verglich die aus Naundorffs Oberarmknochen gewonnene DNS mit den DNS-Sequenzen aus dem Haar von Königin Marie Antoinette, der Mutter Ludwigs XVII., welche die Revolution im September 1793 aufs Schafott geschickt hatte. Cassiman entdeckte keinerlei Verwandtschaft.
Der Genetiker Cassiman ist es auch, der, in Zusammenarbeit mit Bernd Brinkmann vom Institut für Rechtsmedizin in Münster, vor vier Jahren wiederum mittels DNS-Analyse nachgewiesen haben will, dass das inzwischen völlig vertrocknete und vergangenen Dienstag zur Ruhe gebettete Herz von einem Verwandten Marie Antoinettes stammen muss. Die Ergebnisse stünden damit "in Übereinstimmung mit offiziellen historischen Überlieferungen, die davon ausgehen, dass Ludwig XVII. im Pariser Temple-Gefängnis verstarb", schrieb Brinkmann vor vier Jahren in der "FAZ". Möglich wurde der Vergleich, weil der Arzt Philippe-Jean Pelletan vor mehr als zweihundert Jahren das königliche Herz während der Obduktion beiseite geschafft und in Alkohol einlegt hatte, was für die Reliquie den Auftakt zu einer Odyssee bildete, die sie durch halb Europa führte.
Charles de Bourbon ficht dies alles nicht an. Er verlangt eine neue Untersuchung, eine neuerliche Exhumation seines Urgrossvaters. Die sollen ihm jetzt die Behörden von Delft bewilligt haben. Nur das Geld fehlt hierfür noch: rund 20 000 Euro. "Aber ich bin eine Kämpfernatur. Ich werde es schaffen", sagt der Fünfundsiebzigjährige. Zur Seite stehen ihm eine Handvoll Mitstreitende, "survivantistes", wie man sie in Anlehnung an ihre unerschütterliche These vom Überleben Ludwigs XVII. nennt. Sie haben eigens zu diesem Zweck
ein
Institut gegründet, und sie haben scharfe Augen. In einem Internet-Forum schreibt
ein
Jeanmarie47: "Mit der Zeremonie vom 8. Juni wollten sie die Affäre Ludwig XVII. abschliessen. Aber die Erben der Restauration haben ihr Ziel verfehlt. Überall unter ihren Kleidern erblickte man den Schwanz des Teufels."
755104, NZZ , 13.06.04; Words: 691
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