Schweizer Auswanderung auf brasilianische Kaffeeplantagen, 1852-1888

 

Zusammenfassung und Auszüge aus:

 

Eva Dietrich/Roman Rossfeld/Béatrice Ziegler (Hg.). Der Traum vom Glück. Schweizer Auswanderung auf brasilianische Kaffeeplantagen 1852-1888. Baden 2003.

 im Zusammenhang mit meiner privaten Familienforschung der BONADURER’s (nur für den privaten Gebrauch)

Schweizer Auswanderung auf brasilianische Kaffeeplantagen, 1852-1888 

Einleitung zur Geschichte 

Etwas über die Geschichte von Untervaz 

Verhältnisse im Dorf zur Zeit der Auswanderungen 

Folgen dieser Zustände 

Wie kam es zur Auswanderung 

Destinationen der Emigranten   4

Nordamerika 

Brasilien 

Die Reise in die neue Welt 5

Nordamerika 

Brasilien 

Zur Reise der Emigranten nach Brasilien: 

Landreise in Europa 

Seereise 

Auswanderungsschiff in der Werbung 

Speiseraum eines Segelschiffes 

Zwischendeck eines Segelschiffes 

Die Landreise in Brasilien 

Das Leben in der fernen, neuen Heimat

Nordamerika:

Brief von Samuel Allemann an Georg Krättli vom 17. Mai 1849 

Brief von Hans Krättli an Georg Krättli vom Mai 1849 

Brief von Peter Krättli an seinen Bruder Georg vom 31. Dezember 1849 

Brief von Johann Sutter an seinen Freund Georg Krättli vom 28. Mai 1850 

Brief von Peter Krättli an seinen Bruder Georg vom 27. August 1850 

Brief von Johann Sutter an seinen Freund Georg Krättli vom 10. August  1851 

Brief von Peter Krättli an seinen Bruder Georg vom 24. März 1853 

Brief von Christian Krättli an seinen Bruder Georg vom 12. April 1854 

Brief von Peter Krättli an seine Familie in Untervaz vom 26. August 1861 

Brief von Menga Krättli an ihren Schwager Johann Krättli vom 12. August 1865 

Brief von Christian Krättli an seinen Bruder vom 2. Januar 1866 

Brief von Christian Krättli an seinen Bruder vom 10. März 1867 

Brief von Christian Krättli an seinen Bruder vom 18. Juni 1874 

Informationen aus Familienbibeln und Zeitschriften  

Familiengeschichte von Michael Krättli

Die Geschichte der Anna Philipp - Carl

Anna Philipp - Carl:

Georg und Dorothea Krättli-Philipp 

Ein Bündner Staatsmann in Amerika: Governor Emanuel Lorenz Philipp 

Brasilien  

Brasilien und die Anbaugebiete einiger Rohstoffe im 19. Jahrhundert

Der Parceria-Vertrag:

Auf die Plantage Ybicaba wurden folgende Personen gebracht:

Fazenda „Ibicaba“, gegründet 1817 

Nachfolgende Familien kamen nach Biry:

Kaffeepflanze 

Die Nachfahren unserer Auswanderer

Nordamerika 

Brasilien 

Grab von Hans Heitzmann 

Zielsetzung der Arbeit

Dank 

 

Schweizer Auswanderung auf brasilianische Kaffeeplantagen, 1852-1888

Zwischen 1852 und 1857 wanderten rund 2‘000 verarmte Schweizerinnen und Schweizer in die Provinz Sao Paulo nach Brasilien aus, wo sie auf 25 Kaffeeplantagen verteilt als Kaffeepflücker arbeiteten. In der Auswanderungs-Werbung wurde Brasilien zu einem irdischen Paradies und Schlaraffenland stilisiert, und der Anbau des in Europa immer noch teuren Kaffees wurde zu einem Symbol für den in der Ferne zu erlangenden Wohlstand. Die Realität in Brasilien hingegen war eine andere – das Paradies in den Köpfen wich rasch dem harten Alltag auf den Plantagen. Durch die zunehmende internationale Kritik an der Sklaverei unter Druck geraten, versuchte man in Brasilien seit den 1840er Jahren, Sklaven durch Kolonisten zu ersetzen, die als Halbpächter die Kaffeeplantagen bewirtschaften sollten. Seit langem an die Haltung von Sklaven gewöhnt, wurden jedoch auch die Schweizer ungerecht behandelt. Die Auswanderer hatten kaum eine Chance, ihre Schulden zu bezahlen und freie Bauern zu werden. In der Folge kam es zu einer Revolte gegen die ihnen aufgezwungenen Arbeits- und Lebensbedingungen, die sich zu einer Schweizer Staatsaffäre ausweitete und die Auswanderung nach Brasilien rasch versiegen liess.

Einleitung zur Geschichte

Im Herbst 1995 startete in Untervaz eine Plakataktion. Ich bat die Untervazer Bevölkerung um Informationen über die Auswanderung aus Vaz. Das Echo war ernüchternd. Ich bekam zwei Telefonanrufe, welche mich auf das Buch von Eveline Hasler hinwiesen: „Ibicaba das Paradies in den Köpfen“.

 

Da war ich später schon sehr erleichtert, als mir Stotzlenz das Material zur Verfügung stellte, mit welchem er Berichte im „Bündner Monatsblatt“ veröffentlichte. Eine weitere Quelle in Untervaz war Kaspar Joos, welcher mir half, im Gemeindearchiv nach Unterlagen zu suchen. Sehr hilfreich war mir auch Silvester Davatz aus Malix, welcher mir grosszügigerweise seine Unterlagen über Thomas Davatz überliess.

 

Sehr viel Material erhielt ich von Amerika und Brasilien. Da waren vor allem Timothy Philipp, Ron Kraettli und Gisela Heitzmann sehr aktiv und ich erhielt vor allem aus den U.S.A. eine Fülle von Informationen und Geschichten über Auswanderer und ihre Familien. Zum guten Glück waren diese Papiere alle in Englisch, sonst wäre mir bei studieren dieser sicher noch zu langweilig geworden.

Den restlichen Teil des Materials musste ich mir in der Kantonsbibliothek und dem Staatsarchiv Graubünden beschaffen. Ohne die Hilfe der freundlichen Angestellten wäre dieser Teil der Arbeit sehr viel mühsamer gewesen.

Etwas über die Geschichte von Untervaz

Untervaz wurde bereits im Jahre 831 urkundlich erwähnt. Das Dorf gehörte im Mittelalter zu einem grossen Teil dem Kloster Pfäfers. Politisch gehörte es jedoch zur Cent Chur. Die niedere Gerichtsbarkeit über das Dorfe teilten sich der Bischof von Chur und das Kloster Pfäfers. Die Hofgerichtsbarkeit in Untervaz dürften aber wohl die Herren Thumb von Neuenburg, welche auf der gleichnamigen Burg wohnten, ausgeübt haben.

 

In den Jahren 1567 bis 1577 erkaufte sich die Untervazer Bevölkerung, welche z.T. ursprünglich Walser waren, ihre Freiheit. Sie kauften sich 1567 vollständig vom Kloster Pfäfers los und erstanden 1577 die Herrschaft Neuenburg vom Bistum Chur, welche diese 1496 übernommen hatten.  Von diesem Zeitpunkt an war Untervaz ein Bestandteil des Hochgerichts der vier (ab 1803 der fünf) Dörfer, welche seit 1851 einen eigenen Kreis bilden. Im 17. und 18. Jahrhunderte gab es in Untervaz ein berühmtes Bad, welches sich am nordöstlichen Teil der Gemeindegrenze befand.

 

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war Untervaz ein reines Bauerndorf. Als sich jedoch 1957 die Bündner Cement AG im Dorfe niederliess, erlebte das Dorf einen Wandel. Im Laufe der Jahre siedelten sich immer mehr Betriebe der Baubranche in Untervaz an (nicht zuletzt denk dem eigenen Autobahnanschluss).

 

Heute befindet sich die Gemeinde Untervaz standortmässig in einer komfortablen Lage. Verkehrstechnisch gut erschlossen und trotzdem kein Durchgangsverkehr erleidend, schmiegt sich das Dorf eng an den Calanda an und ist von prachtvollen Wiesen und Wäldern umgeben. Heute leben rund 2000 Menschen in Untervaz.  Das Dorf hat eine eigene Sekundarschule, fünf Restaurants, zwei Dorfläden, eine Metzgerei, eine Bäckerei, zwei Banken, eine Niederlassung der Post und einen Arzt. Für die Freizeit stehen grosszügige Sportanlagen zur Verfügung und die ausgezeichnet erschlossenen Alpgebiete haben im Sommer und im Winter ihren besonderen Reiz.

Verhältnisse im Dorf zur Zeit der Auswanderungen

Während des 19. Jahrhunderts war Untervaz ein reines Bauerndorf und gehörte wohl zu den ärmsten Gemeinden Graubündens. Dieser Zustand änderte sich erst Mitte des 20. Jahrhunderts, als die Industrie in Untervaz Fuss fasste. Vor allem in den 40er und 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts muss die Armut im Dorf im Vergleich zu anderen Gemeinden sehr gros gewesen sein. Hatte doch Untervaz 1851 zusammen mit Vals am meisten Schwabengänger gestellt. Schwabengänger waren Knaben und Mädchen im Schulalter, welche ins Schwabenland wanderten und dort für ein paar neue Schuhe und Kleidung ein halbes Jahr lang auf einem Bauernhof arbeiteten. Natürlich waren die Eltern auch froh, dass sie für diese Zeit mindestens ein Maul weniger zu stopfen hatten.

 

1848 wurde der Umbau der katholischen Kirche fertiggestellt. Die Kirche wurde aber viel kleiner als ursprünglich geplant. Das Fundament wurde gekürzt, damit man einen alten Birnbaum nicht fällen musste. Das tönt wohl ein wenig amüsant, aber die älteren Leute von damals erinnerten sich immer noch an die schwere Hungersnot von 1817, als die Leute im Jahre 1818 erst wieder richtig satt wurden, als die Kirschen reif wurden. Nebst der Kürzung des Fundamentes musste die Kirche auch an Höhe einbüssen. Die Arbeiter waren der Frohnarbeit müde, was zu einem Streit zwischen ihnen und dem Baumeister führte. Alles nützte nichts. Die Arbeiter begannen, nachdem die Fensterbogen erreicht worden waren, gleich mit der Aufrichtung des Dachstuhls. Das restliche Baumaterial sei dann für den Häuserbau genutzt worden.

 

Aber schon früher tobte in der Gemeinde ein kleiner „Bürgerkrieg“. Es bestand ein tiefer Graben zwischen den wohlhabenden Bürgern und den armen Niedergelassenen (Angehörigen). Die „Bündner Zeitung“ berichtete im Mai 1846, mit dem Titel „Der Streit der Klauen und Hörner in Untervaz, in drei Artikeln über diesen Zwist. Die Niedergelassenen, welche durch die neue Bundesverfassung auch Gemeindebürger wurden, forderten Gleichberechtigung bezüglich Gemeindedeutilitäten (Allmeinde, Wuhrlasten etc..). Die alteingesessenen Bürger verwehrten ihnen diese jedoch und es gelang nicht, mittels Gemeindebeschlüsse diese zu erreichen. Es wurden ein Ausweg aus dieser Situation gesucht und man beschloss, ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen, was zu tun sei. Im Sommer 1844 wurde dieses Gremium endlich konsultiert. Zuerst wurde festgestellt, warum die Verarmung in Untervaz so stark fortgeschritten sei. Die Gründe:

-      „stete Vermehrung der Angehörigen der ärmeren Bevölkerung“

-      „Vermehrung der Gemeindewerke zur wiederholten Erstellung der Verbindungsbrücke über den Rhein und zur Eindämmung desselben“

-      „die häufig eintretenden Überschwemmungen“ und „vielfache Versumpfungen von gutem Boden“. Als Folge dieser Zustände: „der nachtheilige moralische Einfluss“.

 

Die Schiedsrichter versuchten zu schlichten und erteilten wohlgemeinte Ratschläge. Jedoch stiessen diese bei den reichen Bürgern auf taube Ohren. Rund 1000 alteingesessene Bürger hätten ihre Nutzungsrechte mit ca. 220 Neubürger teilen müssen. Man kann sich unschwer vorstellen, dass dies nicht angenommen wurde. Diese 220 Personen waren zum Teil frühere Fahrenden, welche ohne festen Wohnsitz waren, Familien welche schon seit Jahrzehnten in Untervaz wohnten, aber auch Personen, welche aufgrund Armengenössigkeit das Bürgerrecht verloren hatten. Untervaz hatte nach Chur und Mesocco in Graubünden die drittgrösste Zahl der Heimatlosen.

Folgen dieser Zustände

Die Armut, die Unnachgiebigkeit der „herrschenden“ Bürger, der Umstand, dass 1850/51 einige Untervazer vermögend aus Nordamerika heimkehrten und die verlockenden Werbungen der Auswanderungsagenturen liessen für viele Leute die Auswanderung zum Thema werden. Man vergass aber, dass die Heimkehrer aus Nordamerika ihr Reichtum nicht geschenkt bekamen. Sie mussten dafür sehr hart arbeiten und viele Entbehrungen erdulden. Die Auswanderungswilligen liessen sich aber durch den Erfolg blenden und überhörten alle mahnenden Stimmen.

 

Unterdessen ging es an den Gemeindeversammlungen von Untervaz toll zu und her. Unterlegene Parteien legten Rekurs gegen Abstimmungen ein, die Stimmfähigkeit einzelner Anwesenden wurde angezweifelt, Versammlungen mussten abgebrochen werden und die Bündner Regierung musste Regierungskommissare senden, damit das Protokoll und Ruhe eingehalten wurden. In den Jahren 1854/55 wurden innert kürzester Zeit viele Gemeindeversammlungen einberufen. Es ging immer wieder um die Gleichberechtigung der Gemeindenutzungen und neuerdings auch um die von der Firma Verqueiro organisierte Auswanderung nach Brasilien (eine Versammlung wurde am 31. Dezember 1854 durchgeführt, man stelle sich das heute vor).

Wie kam es zur Auswanderung

Der Streit zwischen den „Klauen und Hörner“ und die Not der armen Leute wurden immer grösser. Dieser Zustand und die andauernde Werbung durch die Auswanderungsagenten, welche den Emigrationswilligen das Blaue vom Himmel versprachen, führten dazu, dass sich bis zum 12. Oktober 1854 43 Familien (20 Angehörige und 23 Bürger) entschlossen, nach Brasilien auszuwandern.

 

Daraufhin schrieb der Gemeindevorstand dem Kleinen Rat des Kantons Graubünden folgenden Brief:

 

„Durch Zureden und sehr schmeichelhafte Versprechungen einiger Agenten, die sich für gewisse Gesellschaften bemühen Leute zum Auswandern anzumachen, finden sich in unsererer Gemeinde sowohl Bürger als Angehörige, welche sich entschlossen, nach Brasilien in die Provinz St. Paulo auszuwandern und sind mit dem Gesuche bei der Gemeinde eingekommen, dieselbe möchte Ihnen auf vier Jahre das benötigte Reisegeld vorschiessen, indem sich die Gesellschaft einer dortigen Kolonie, Verqueiro [1]genannt, verpflichtet bis spätestens in vier Jahren Zeit, den Gemeinden das den Auswandernden vorgeschossene in vier Raten zurück zu bezahlen.

 

Die Gemeinde hat nun beschlossen, dass wir den Hochlöblichen Kleinen Rath ersuchen sollen, derselbe möchte sich gütigst und beförderlichst durch den hohen Bundesrath von den eidgen. Consulen in Brasilien über fragliche Angelegenheiten möglichst genauen Bericht erstatten lassen und uns sobald als möglich die fragliche Auskunft mittheilen.“[2]

 

Die Gemeindeversammlung hatte schon am 12. Oktober 1854, positive Antwort aus Brasilien hin oder her, mit grosser Mehrheit beschlossen, den Auswanderern nach Brasilien das erforderliche Geld vorzuschiessen.

 

Die Antwort des Kleinen Rates auf das Begehren der Untervaz liess nicht lange auf sich warten. Am 18. Dezember 1854 schrieb dieser, dass die Informationen aus Brasilien negativ seien: für Schweizer sei das Klima kaum geeignet und es herrsche das gelbe Fieber, welches sehr ansteckend sei; zwar sei der Boden fruchtbar, benötige aber grosse Pflege.

 

Die Not war gross und so konnte dieser Bericht niemanden mehr abschrecken. Dazu konnten die Agenten ihrerseits Briefe früherer Auswanderer (aus der Innerschweiz) vorlegen, welche durchwegs positiv tönten und sie drängten auf einen Vertragsabschluss. Ausserdem warben die Agenten auch beim Kanton um Auswanderer, allerdings mit sehr fragwürdigen Argumenten. Sie versuchten, die Behörden damit zu überzeugen, dass sich mit der Auswanderung zwei Fliegen auf einen Streich fangen lassen. Zum einen könne man sich einer Einwohnerklasse entledigen, welche am Gedeihen des Landes kein Interesse zeige und zur Straffälligkeit und Armengenössigkeit neige. Zudem könne sich der Kanton mit der Entledigung dieser Leute die Kosten für den Ausbau der „Correctionsanstalt“ in Fürstenau sparen.

 

So kam es dazu, dass bis zum April 1855 23 Familien aus Untervaz, mit insgesamt 116 Personen, sogenannte „Halbpachtverträge“ unterschrieben hatten und bereit waren, nach Brasilien zu emigrieren. Das Geld für die Reise wurde, wie bereits erwähnt, von der Gemeinde vorgeschossen. Die Kosten betrugen Fr. 348.-- für Erwachsene über 8 Jahre, für ein Kind unter 8 Jahren war der Preis der Überfahrt mit Fr. 264.-- unbescheiden günstiger und ein Kleinkind unter einem Jahr durfte gratis mitreisen. Somit schoss die Gemeinde Untervaz den 23 Familien insgesamt einen Betrag von Fr. 39’458.-- vor. Aber woher hatte die arme Untervazer Gemeinde diese immense Summe her? Die Antwort dazu könnte folgender Protokollausschnitt aus einer Gemeindeversammlung sein:[3]

 

„2. Da der Hieb der 600 Lärchenstämmen unter Zamunt neben andern auch an die Bedingung geknüpft ist, und zwar mit Kleinrats Beschluss vom 7. Sept. 1854, dass 1000 Fr. für Culturen zu Gunsten des hiesigen Waldwesens in die Ersparniskassa deponiert werden müssten, und da dieses bis dato nicht geschehen, so wurde die Gemeinde angefragt, besonders da ein Aufforderungsschreiben den eingegangenen Verpflichtungen innert 14 Tagen nachzukommen, vorlag, wie sie sich mit dieser Einzahlung verhalten wolle. Resultat: von der ersten Rata Geld, dass der Gemeinde aus Brasilien zukommen soll, ist der angeführte Betrag zu erheben und zunächst das Forstinspektorat um Verzug zu bitten.“

 

Man kann sich unschwer vorstellen, dass diese Arbeit die ganze Gemeinde einen Winter lang beschäftigt hatte. Die 600 Bäume mussten gefällt, aufgerüstet und ins Tal hinunter gebracht werden. Das alles ohne die heutigen Waldwege. Im Unteräuli mussten die Lärchen gesammelt werden, um dann an den Bestimmungsort geflösst werden. Die ganze Kubatur des geschlagenen Holze mochte wohl mehr als 1’000 m3 ausgemacht haben, ein riesiges Volumen!

 

Mit der Bereitstellung des Geldes durch die Gemeinde war somit das Startsignal zu Auswanderung gegeben. Es galt nun, die individuelle Abreise zu organisieren. Viele liebgewordenen Mobilien und Gegenstände mussten dabei wohl oder übel zu Hause gelassen werden. Dies führte wohl auch dazu, dass vor 10 Jahren im Elternhaus vom „Stotzlenz“ immer noch eine Truhe mit den Initialen von „Peter Heitzmann“ stand.

Destinationen der Emigranten

Nordamerika

Zu welcher Zeit zum erstenmal Untervazer ihre Heimat verliessen, um in einem fernen Land ihr Glück zu suchen, kann man nicht genau feststellen. Fest steht lediglich, dass im Jahre 1850, bei einer Volkszählung, 92 Untervaz ausserhalb der Schweiz ihren Wohnsitz hatten. Von diesen 92 Personen wohnte einer in Würtemberg, drei in Frankreich, von 26 Personen hatte man keine Angaben und 62 Untervaz lebten in Nordamerika. Man darf aber davon ausgehen, dass die meisten der 26 Personen, welche ohne Ortsangabe dastehen, auch in Nordamerika lebten oder mindestens dorthin ausgewandert waren. Interessant ist, dass die Auswanderung nach den heutigen Vereinigten Staaten von Amerika sehr unregelmässig verlief. Höhepunkte der Emigration waren die Jahre 1844, 1846, die fünfziger Jahre und die frühen siebziger Jahre. Dazwischen, in den sechziger Jahren, und später, ab den achziger Jahren, gingen nur vereinzelte Personen nach Übersee.

 

Es ist nicht klar nachvollziehbar, wo all die Vazer sich in Amerika niederliessen. Gewiss ist, dass sehr viele nach Missouri zogen, in die Gegend von Hermann. Warum ausgerechnet dieses Städtchen ausgesucht wurde, scheint nicht ganz auf der Hand zu liegen. Aber man muss bedenken, dass es von Deutschen Einwanderern gegründet wurde und die Deutsche Sprache somit ein Merkmal dieses Pflasters war. Dies alleine muss schon sehr attraktiv gewesen sein. Dazu kam, dass der Boden günstig, fruchtbar und in grossen Mengen vorhanden war.

Brasilien

Für die Emigration nach Brasilien mussten sich die Auswanderer keine Gedanken machen, wo sie sich ansiedeln wollten. Die Destination war schon von Anfang an bekannt: Die Provinz Sao Paulo im Süden von Brasilien.

 

Mit der Unterschreibung der sogenannten „Halbpachtverträgen“ legten die Auswanderungswilligen ihr ganzes Vertrauen in die Hände des Agenten, welcher die Hinreise organisierten. Zwar wussten die Vazer nicht genau, auf welcher Fazenda sie schlussendlich landen werden um dort Kaffee zu ernten; aber Hauptsache, sie kamen alle auf die gleiche Plantage, zusammen mit den Fanasern, dies liessen sie sich vertraglich zusichern.

Die Reise in die neue Welt

Nordamerika

Wie die beschwerliche Reise bewältigt wurde, erfahren wir am besten anhand von Briefen, welche Georg Krättli und Samuel Allemann, welche beide 1844 den Sprung über den Teich wagten, während der Reise schrieben.

Die beiden starteten ihr Abenteuer am 26. Februar und marschierten Richtung Walenstadt. Ab der Tardisbrücke nahm sie dann ein befreundeter Fuhrmann bis zum Walensee mit. Dann ging es weiter Richtung Zürich, auf diesem Abschnitt ihrer Reise bewunderten sie das schöne Schmerikoner Schulhaus und vorallem die Umgebung von Zürich, mit seinen vielen schönen Häusern, den fetten Wiesen und seiner romantischen Kulisse.

 

In Zürich bestiegen sie die Postkutsche und reisten damit, die Nacht hindurch, nach Basel. Dort hatten sie einen kleinen Aufenthalt und wurden von einem Malanser durch die Stadt geführt. Beim passieren des Schweizer Zolls hatten Georg und Samuel vier Pfund Übergewicht an Gepäck (84 Pfund), mussten aber nichts dafür bezahlen.

 

Von Basel aus nahmen sie den Zug und fuhren Richtung Strassburg. Es fiel ihnen auf, dass der Zug beinahe mehr stehen blieb als er fuhr, dass die meisten Ortschaften mit ... heim endeten und dass die Bahnhöfe immer mindestens ½ Stunde von den Orten entfernt waren. Sie schrieben auch, dass alles Vieh der Untervaz nicht imstande wäre, so viele Wagen zu ziehen, wie die Dampflokomotive es tat.

 

Nach einem kurzen Aufenthalt in Strassburg bestiegen sie einen Omnibus und gelangten mit diesem zum Rhein, von wo aus sie ein Dampfschiff nach Mannheim bestiegen. Dort trafen sie auf Auswanderer aus den verschiedensten Ecken. Anfang März trafen sie in Nimwegen (Niederlande) ein und am 3. März erreichten sie Rotterdam. Von dort aus ging es nach Le Havre, um von dieser Stadt aus nach Amerika zu segeln. Samuel und Georg schrieben noch, dass das Schiff 65 Schritte lang sei und ungefähr 300 Personen fassen würde, dass sie nach „Neujork“ fahren werden und dass der Tag der Abreise der 8. März sei.

 

Dies war die erste Etappe ihrer Reise. Von der Seereise wussten sie nichts zu berichten oder mindestens gibt es keinen Brief, der sie beschreibt. Den nächsten Brief erhielten die Untervazer Angehörigen von Georg Krättli nämlich erst Ende 1845 aus Hermann:

Hier schreibt Georg, dass er seinen alten Platz (die Gerberei in Pokelpsi, New York) und seinen Freund Samuel Allemann verlassen habe, und nun westwärts, in die neuen Staaten ziehe. Seine Reise führte ihn nach Buffalo, den Eriesee, Michigansee, Milwaukee, Wisconsin und Illinois (für ihn den schönsten Flecken Erden, den er je gesehen habe). Er war in Chicago, Springfield, Peoria und Evansville. Von diesem Ort aus ging die Reise weiter nach St. Louis (Missouri), wo er sich 5 Tage lang aufhielt und so viele Schweizer wie nie zuvor traf. 7 Meilen nördlich von St. Louis liegt Hermann und dort traf er Lucas Pilat und Martin Krättli, die eben erst aus der Schweiz angereist kamen und auf direktem Wege nach Hermann gingen. Als er dann in Hermann ausstieg, traf er seinen Vetter Georg, welcher ihn am Anfang gar nicht erkannte, dann aber umso herzlicher begrüsste. Zusammen gingen sie zur Farm des Vetters, wo Georg viele andere alte Bekannte in die Arme schliessen konnte.

 

Georg weiss zu berichten, dass Vetter „Jöri“ 160 akre[4] Land und der Hansjöri 80 akre besassen. Land erster Güte mit Wasser, Quellen und Holz. Überhaupt sei dass Klima sehr geeignet für die Landwirtschaft und vor allem auch zur Holznutzung. Einzig die Überschwemmungen des Missouri machen einem ab und zu einen Strich durch die Rechnung. Gemäss Georg sei das Land auch geeignet, um Baumwolle oder Wein zu bepflanzen.

 

Am Schluss seines Briefes berichtet er, dass er beabsichtige, in Herman zu bleiben und auch Land zu kaufen (1 akre = 1 ¼ $). Er habe sich dazu schon ein Stück Land ausgesucht. Er forderte seine Brüder Hans und Jakob auf, auch nach Amerika zu kommen und gab ihnen gute Ratschläge, wie sie am besten reisen sollten und was für Geräte sie mitnehmen sollten.

Brasilien

Über die Reise nach Brasilien gibt es einen ausführlichen Reisebericht[5]. Thomas Davatz, Dorfschullehrer aus Fanas, war einer der 338 Bündner Auswanderer nach Brasilien. Er hatte den Auftrag, verschiedenen Prättigauer Gemeinden und der Bündner Regierung einen Bericht zu schreiben, ob Brasilien als Auswanderungsland für Bündner geeignet sei oder nicht. Um dies zu beurteilen, erhielt er einen Fragenkatalog, welchen er getreu auszufüllen hatte.

Thomas Davatz sollte später in Brasilien eine sehr wichtige Rolle spielen. Ausserdem wurde sein Name mehr als 100 Jahre später berühmt, als Evelin Hasler einen Roman, „Ibicaba, das Paradies in den Köpfen“,  schrieb, welcher der Lebensgeschichte von Davatz zugrunde lag.

Zur Reise der Emigranten nach Brasilien:

Landreise in Europa

Am 8. April 1855 am frühen Morgen bestiegen 118 Vazer, 50 Fanaser und andere Bündner die Omnibusse und halboffenen Leiterwagen an der Tardisbrücke um damit Richtung Walenstadt zu fahren. In Walenstadt gab es die erste Zwischenverpflegung und dann wurden die Emigranten auf ein Dampfschiff und zwei Boote verteilt. In Weesen wurden alle Passagiere auf die zwei Boote verteilt und dann ging es Richtung Rapperswil. Man blieb in den Kajüten, da es sehr stark regnete. Bis Schmerikon kam ihnen zwar ein Dampfschiff entgegen, es konnte aber die Bündner nicht an Bord nehmen, da der obere Zürichsee zuwenig Wasser hatte, um ein Schiff mit so grosser Last zu tragen. So zog das Schiff die beiden Boote bis nach Rapperswil und dort durften die Auswanderer auf das Schiff wechseln. Von Rapperswil nach Zürich wollten alle Reisenden unter Deck bleiben (wegen dem starken Regen), so dass ein ziemliches Gedränge herrschte. In Zürich bestiegen sie die Eisenbahn, um noch vor Einbruch der Nacht nach Baden zu gelangen. Gemäss Davatz waren die Schweizer Bahnwagen die bequemsten, wobei sie immer 3. Klasse fuhren.

 

In Baden wies sie Herr Benedict, der Auswanderungsagent, an, sich auf bereitstehende Wagen zu verteilen, die sie nach Brugg führten. Dort wurde ein reichliches Abendessen eingenommen. Die Art wie gewisse Auswanderer ihrer „Fressgier“ (Originalwort von Davatz) freien Lauf liessen und andere Vorfälle des Tages zeigten Davatz, was für Subjekte mit auf die Reise gingen. Am nächsten Morgen ging es per Leiterwagen und zu Fuss nach Basel. Schnee und Regen begleiteten sie über den Bözberg. In Basel wurde Proviant eingekauft und am 10. April ging die Reise weiter nach Mannheim. Die deutschen Zöllner hatten erbarmen mit den armen Auswanderer, kontrollierten praktisch nichts und verlangten auch keinen Zoll. Die Reise nach Mannheim ging per Eisenbahn und von dort aus per Extra-Dampfschiff nach Köln. In Köln gab es wiederum einen Ruhetag und früh morgens am 13. April bestiegen sie die Eisenbahn um über Hannover und Minden nach Haarburg zu gelangen. Dort wurde wiederum ein Schiff bestiegen um nach Hamburg zu gelangen. Am 14. April, morgens um 6.30 Uhr kamen sie in Hamburg an. Dort mussten sie fünf Tage auf ihr Schiff „Kronprinz Ernst August“ warten, da es auf seiner Retourfahrt von Nordamerika beschädigt wurde.

 

Somit hatten die Auswanderer Zeit die Stadt zu besichtigen. Es war eine Leichtigkeit für die erfahrenen und schlauen Geschäftsleute von Hamburg den armen und naiven Emigranten aus den Bergen allerlei unnützes Zeug für die bevorstehende Schiffsreise anzudrehen. Im Nachhinein beklagte sich Thomas Davatz über den unnötig langen Aufenthalt in dieser Stadt, welche zwar einige Sehenswürdigkeiten bot, aber auch voll von Laster- und Sündenplätzen war (es liegt wohl sehr nahe, dass der Aufenthalt in den Hafenstädten eine abgemachte Sache zwischen den Agenten und den Geschäftsleuten war). Davatz fand es sehr schade, dass auf der Reise nach Hamburg vorwiegend schlechtes Wetter herrschte. Somit blieben sie auf den Schiffen mehrheitlich unter Deck und in den 3. Klasse-Wagen der Eisenbahn zogen sie meistens die Ledervorhänge (Fenster hatten nur die 1. - und 2. Klasse). Somit war es selten möglich, etwas von den schönen Städten, Dörfern oder Schlössern entlang des Zürichsees oder des Rhein zu sehen. Zusätzlich führte die Feuchtigkeit dazu, dass viele Emigranten schwer krank wurden und somit den Leuten sehr schnell bewusst wurde, dass der Tod die Reihen unter den Auswanderer lichten könnte. Ein weiterer Faktor, der die schwachen Menschen (vor allem Alte und Kinder) gefährdete, war, das ungewohnte Essen, wenig Schlaf und der Reisestress. All diese Umstände führten dann auch dazu, dass ein Kind von Joh. Joseph Hug jun. aus Untervaz, welches erst einige Tage vor Beginn der Reise geboren wurde, in Hamburg starb.

Seereise

Schlussendlich konnte man am 19. April 1855 an Bord des Schiffes gehen. Es waren immer noch Reparaturarbeiten im Gange, doch die Siedler konnten sich schon ein wenig ans Schiffsleben gewöhnen und ihre Unterkünfte beziehen. Während man auf guten Wind wartete, gebar Frau Schlittler aus dem Kanton Glarus Zwillinge. Diese wurden jedoch zu früh geboren und starben gleich nach der Geburt. Die Familie Rupert aus Mastrils erhielt dagegen gesunden männlichen Nachwuchs.

 

Am 25. April kam ein günstiger Wind auf und der Kapitän, C. Meyer von Haarburg (Königreich Hannover), kam an Bord. Ein Lotse führte das Schiff durch die Elbe zur Nordsee hinaus und verliess es dann. An dieser Stelle verteilt Davatz viele schöne Lobesworte an den Kapitän, die Steuermänner und an die Matrosen. Anscheinend wurde die Auswanderer von der Crew sehr zuvorkommend behandelt. Solche Dinge geschahen auf Auswanderungsschiffen nicht immer. Der Kapitän wusste zu berichten, dass eine Seereise von der Elbemündung bis zum Ende des englischen Kanals je nach Wind und Strömung zwischen 30 Stunden und drei Wochen dauern kann. Unsere Bündner hatten in dieser Beziehung Glück. Schon am 30. April befanden sie sich auf dem Atlantischen Ozean.

Auswanderungsschiff in der Werbung

Der gute Wind blieb ihnen hold, am Abend des 2. Mai kamen sogar Sturmböen auf, welche aber zum guten Glück in die richtige Richtung bliessen und somit die Reise noch schneller machten. Allmählich wurde der Sturmwind durch den schwächeren, aber dennoch günstigen, Nordostpassat abgelöst. Dann kamen sie in die Gegend der „Rossbreiten“ (6. Grad nördliche Breite) und der Wind blieb aus. Völlige Windstille, schwüle Luft und sehr starke Regenschauer prägten nun die Tage. Die Temperaturen erreichten zwischen 20° und 22° C. Welch Temperaturschock zur Nordsee, wo es gerade mal 3° - 4° kalt war. Allmählich kam wieder Wind auf, welcher aber nicht aus günstiger Richtung bliess und viel schwächer war. So kam es, dass die ersten 48 Breitengrade in 22 Tagen, die nächsten 30 Breitengrade aber in 29 Tagen zurückgelegt wurden. Den Äquator passierte das Schiff am 24. Mai 1885 um 8.30 Uhr.

 

Davatz weiss zu berichten, dass während der ganzen Reise kein einziger Sturm zu überstehen war. Nur einmal, am 12. Juni, als das Schiff schon südlich von Rio de Janeiro segelte, schien ein Sturm aufzukommen. Es fiel aber lediglich ein sehr intensiver Gewitterregen auf das Schiff. Die Intensität aber, mit welcher der Regen fiel, könne man sich in Europa nicht vorstellen.

 

Der 15. Juni 1855 war für das Schiff ein Unglückstag. Der Gehilfe des Koch, der jüngste Matrose an Bord, wollte am Schiffsbug seine Notdurft verrichten.  Da er wohl noch nicht ganz wach war (es war früh morgens um vier Uhr), fiel er ins Meer. Trotz totaler Finsternis setzte man sofort ein Boot aus um ihn zu suchen, leider wurde er nicht mehr gefunden. Seine erste Schiffsreise war somit zugleich seine letzte. Nur rund zwei Stunden später starb ein ca. 2jähriger Knabe aus dem Kanton Aargau, der wohl von seiner Mutter gänzlich vernachlässigt wurde. Es gab an diesem Tage jedoch auch etwas Erfreuliches zu berichten. Elsbeth Jost aus Fanas gebar ein gesundes Mädchen. Noch am gleichen Tag kehrte das Unglück aber schon wieder ein. Das Schiff lag schon vor Anker in der Bucht von Santos als ein Kind von Georg Pilat aus Untervaz in die Bucht fiel und ertrank. Nach Meinung von Davatz hätten diese beiden Kinder bei ordentlicher Aufmerksamkeit durch die Eltern nicht sterben müssen.

 

Insgesamt darf man von einer geglückten Seereise sprechen. War es doch keine Seltenheit, dass bis zu 10 % der Schiffsbesatzung auf solch einer langen Reise starben. Bis auf die erwähnten Todesfälle starb auf unserem Schiff „nur“ noch der Untersteuermann an Nervenfieber. Die restlichen Personen hatten die Reise gut überstanden. Der Grund dafür lag wohl auch an der guten Ernährung an Bord. Auf dem Speisezettel standen folgende Sachen: Rindfleisch, Speck, Heringe, Sauerkraut, Reis, Gersten, Linsen, Pflaumen, Mehl und Zwieback. Am Anfang der Reise kamen noch Roggenbrot, Zucker, Kaffee, Essig, gesalzene Butter und Kartoffeln dazu. Wein hatte es während der ganzen Reise genug. Es ist natürlich klar, dass diese Speisen nicht immer in einwandfreiem Zustand waren. Vor allem Leute mit schlechten Zähnen hatten oftmals Mühe, gewisse Dinge zu Essen. Dazu kam, dass der Koch auch kein Zauberer war und die Passagiere vielmals nur aufgrund grossen Hungers überhaupt assen. Wasser war auch reichlich vorhanden. In den heissen Zonen wurde das Trinkwasser aber so schlecht, dass man es kaum trinken konnte. Zur Not wurde dem Wasser Essig, Zucker oder Himbeersaft dazugemischt. Das Resultat war, dass es wie ziemlich gut gegorene Gülle roch.

Speiseraum eines Segelschiffes

Damit auf dem Schiff Ordnung herrsche, wurde mit Genehmigung des Kapitäns ein Schiffsvorstand gewählt. Dieser hatte aber einen schweren Stand. Er versuchte zwar aufopfernd, auf dem Schiff für das Rechte zu sorgen, bei so vielen Leuten, welche gemäss Davatz zum Teil die Unordnung suchten, war er aber auf verlorenem Posten. Nach Davatz hatte es an Bord eine grosse Zahl elender Subjekte welche folgende Eigenschaften hatten: Grobheit, Eigensinn, Trotz, Gewalttätigkeit, Unzufriedenheit, Undank, Fressgier, Unreinlichkeit usw.. Der Agent Paravicini soll schon auf der Reise nach Hamburg gesagt haben, dass eine gewisse Partei von Untervaz ein Chor vom Teufel sei; hätte er diese Leute gekannt, so hätte er sie nicht aufgenommen. Davatz fügte aber hinzu, dass ein anderer Teil von Auswanderern aus Untervaz brave und ordentliche Leute seien. Sie hätten besonders ihren redlichen Teil Ärger und Verdruss zu tragen, welcher ihnen durch jene Subjekte zugefügt wurde.

 

Natürlich wurden auf der langen Reise viele Menschen Seekrank. Aber unsere Reisende hatten eigentlich auf ihrer Reise grosses Glück. Es ging zügig voran und das Wetter erlaubte immer wieder Aufenthalte auf dem Deck. Man kann sich vorstellen was passiert, wenn dauerndes Regenwetter die Passagiere zwingt, unter Deck zu bleiben und zusätzlich Windstille die Ankommenszeit verzögert. Unter Deck ist nicht sehr viel Platz und da ist das Wort Geduld dann bald einmal aus dem Wortschatz gestrichen. Auch Flöhe, Läuse und Wanzen können unangenehme Begleiter auf einem Schiff sein. Dieses Schiff wurde von ihnen jedoch nicht stark strapaziert. Eine Untervazer Familie brachte von Zuhause her die Krätze mit, welche sich, dank medizinischer Behandlung,  glücklicherweise nicht auf andere Emigranten übertrug.

Zwischendeck eines Segelschiffes

Nach 51 Tagen Seereise kam am Freitagabend, den 15. Juni 1855, in Santos ein Lotse zusammen mit einem Arzt an Bord. Der Arzt untersuchte den Gesundheitszustand der Einreisenden und der Lotse führte das Schiff am Samstag in den Hafen von Santos. Die Auswanderer mussten sich noch bis zum Montagnachmittag gedulden. Die Zöllner kontrollierten das Gepäck und man durfte das „gelobte“ Land zum ersten Mal betreten.

Die Landreise in Brasilien

In Santos durften sich die Kolonisten für sieben Tage ausruhen. Bis zum 22. Juni hatten sie Zeit, sich von den bisherigen Strapazen zu erholen und die Stadt anzuschauen. Für europäische Verhältnisse war Santos keine schöne Stadt. Wer aber längere Zeit in Brasilien verbrachte und die Stadt nach brasilianischen Verhältnissen beurteilte, der nannte sie eine schöne Stadt. Die Häuser waren meistens zweistöckig und mit Ziegeln bedeckt. Die Wände waren aus gestampfter Erde. Es gab aber auch Häuser, welche sehr massiv gebaut waren. Die Unterkünfte für die Schweizer Kolonisten waren stallähnliche Gebilde. Als Unterlage zum Schlafen gab es Schiffsmatratzen oder man schlief auf der blossen Erde. Das Essen, das sie erhielten, bestand am Morgen aus Kaffee und zwei kleinen Weizenbrötchen, am Mittag gab es jeweils frisches Rindsfleisch mit dicker Reis- oder Bohnensuppe und zum Abendessen stand eine dicke Suppe, in welcher Speck und eine Art Kartoffel (Cara) eingebrockt war, auf dem Speisezettel.

 

Die Strassenverhältnisse in Brasilien waren nicht die besten. Durch das ständige Begehen von Tieren und Menschen wurden sie sehr uneben und die starken Regengüsse verunstalteten sie noch mehr. Zur Pflege der Strassen wurde bis zu diesem Zeitpunkt von der kaiserlichen Regierung aus sehr wenig unternommen. Man war erst dabei, ein gutes Strassennetz aufzubauen und liess dazu eine ganze Schiffsladung Italiener (man sprach auch von Tessinern) kommen. Um von einem Ort zum anderen zu gelangen, benutzten die Einheimischen praktisch nur Maultiere. Zu Fuss ging ein Brasilianer kaum. Zum transportieren gab es kleine, zweirädrige Karren, welche von Ochsen gezogen wurden. Diese waren aber so schlecht gebaut, dass die Tiere höchsten ¼ des Gewichts ziehen konnten, was das gleiche Tier in Europa ziehen könnte. Gewöhnlich wird auf diesen Karren jedoch nur Holz transportiert, alles andere wird auf die Maultiere geladen.

 

Für die Reise der Kolonisten nach ihren Plantagen wurden jedoch nur für Kinder und schwache Personen Tiere zur Verfügung gestellt. Kräftigere Leute mussten laufen, oder sie bezahlten extra (von Santos zur Plantage Ybicaba ca. Fr. 70.--) für ein Tier. Da die Kolonisten in Santos auf verschiedene Kolonien aufgeteilt wurden, gingen auch die Landreisen zur jeweiligen Plantage unterschiedlich lang. Bis zur Kolonie Ybicaba, wohin Davatz ging,  waren es von Santos aus 37 Leguas oder ca. 40 - 50 Stunden. Die Siedler benötigten für diese Strecke aber 17 Tage, vom 22. Juni bis zum 8. Juli. Die 16 Nächte verbrachten die Auswanderer auf dem offenen Boden, zT. schützten ein paar Wände vor Wind und Wetter aber immer hatten sie ein Dach über dem Kopf. Immer dort wo sie übernachteten gab es auch sogenannte Vendas (eine Art Wirtshäuschen). In diesen war aber meistens nur Platz für ca. 15 - 20 Personen und zu kaufen gab es nur Kaffee, Schnaps, Biskuit, Bananen und Orangen.

 

Der Grund dafür, dass die Reise nach Ybicaba so lange dauerte war einfach. Pro Tag wurde im Schnitt nur etwa drei bis fünf Stunden marschiert. Der Tagesablauf eines Reisetages sah etwa so aus: Zuerst mussten die Maultiere, welche die Nacht durch nicht angebunden waren, wieder eingefangen und beladen werden. Dann wurde das Morgenessen zubereitet und gegessen. So war man jeweils zwischen acht und zehn Uhr bereit (je nachdem, wie schnell die Maultiere gefunden wurden), weiterzureisen. Wenn man ein Maultier einen ganzen Tag nicht fand, gab es halt einen unfreiwilligen Rasttag mehr. Gegen Nachmittag erreichte man dann das nächste Nachtlager. Man lud die Tiere ab, sammelte Holz, Grass und Sträucher fürs Kochen und Schlafen und richtete sich fürs Abendessen und Übernachten ein. Am Abend wurde jeweils auch das Essen für den kommenden Mittag gekocht. Zu Essen gab es frisches Rindsfleisch, gesalzener Speck, Schiffszwieback, Reis, Bohnen, Kaffee, Zucker und Salz. Die Verpflegung auf diesem Teil der Reise war wiederum ausreichend.

 

Die Landreise in Brasilien war sehr viel anstrengender als die Seereise. Gleich nach Santos kam ein grosses Gebirge, welches zu erklimmen war. Die Strassen waren zum Teil sehr steil und wie schon gesagt, in erbärmlichem Zustand. Auf der Höhe des Gebirges angekommen, erreicht man bald die Hochebene der Provinz San Paulo. Links und rechts der Strassen präsentierte sich ein beinahe undurchdringlicher Urwald mit unzählig verschiedenen Laubbäumen. Immer wieder lagen auf den Strassen tote, halbverfaulte Maultiere, welche an ihrer Last erlagen. Sie wurden einfach liegengelassen. Davatz erwähnte noch, dass Frauen in Brasilien nicht alleine reisen, ausser sie wollen als Huren bezeichnet werden.

 

Auch auf diesem Teil der Reise, war unseren Auswanderern der Wettergott hold. Jedoch wurden viele durch Krankheit geschwächt. So mussten etliche, welche glaubten, den Weg zu Fuss absolvieren zu können, ein Maultier mieten.

 

Am 8. Juli 1855, genau drei Monate nach Beginn der Reise bei der Tardisbrücke, kamen die Bündner Auswanderer gemeinsam mit anderen Schweizer Kolonisten in Ybicaba an und wurden von einem Sohn des Senators Vergueiro und des Direktors der Plantage begrüsst.

Das Leben in der fernen, neuen Heimat

Eintrittsurkunde in den Staat Missouri (Bezirk Gasconade) von Georg Krättli

Nordamerika:

Was man aus den Briefen erfahren kann

Brief von Samuel Allemann an Georg Krättli vom 17. Mai 1849

In diesem Brief erfährt man, dass Georg Hermann verlassen hat und in die Schweiz zurückgekehrt ist. Samuel ist nun nach Hermann gezogen. Er berichtet, dass der Bruder von Georg, Hans, sich nun auch in Herman niedergelassen hat und es ihm sehr gut gefalle. Er vermisse nur seine Geschwister und sein sehnlichster Wunsch wäre, diese wären hier. Samuel erteilt Georg die Vollmacht, in Untervaz alles zu verkaufen, da er dringend Geld brauche um ein Backhaus zu bauen.

Brief von Hans Krättli an Georg Krättli vom Mai 1849

Hans hat 120 akres Land gekauft, welches 440 $ kostete. 240 $ konnte er bar bezahlen, somit blieb er 200 $ zu einem Zins von 6 % schuldig. Mit diesem Schreiben fordert er seinen Bruder zum zweitenmal auf, er solle ihm das Geld schicken.

Brief von Peter Krättli an seinen Bruder Georg vom 31. Dezember 1849

Peter nimmt an, dass der letzte Brief verloren ging, deshalb schreibt er nochmals. Anscheinend soll er das Land von Georg für 400 $ verkaufen was aber nicht so leicht erscheint. Peter sagt, er würde es besser für 200 $ anbieten, dann würde sich ein Käufer finden. Außerdem scheint Peter der Obhut dieses Landes müde zu sein, mussten sich doch nicht nur einmal verfaulte Zäune und Bauten vor dem Feuer retten und wieder aufbauen.

 

Über den Sommer schreibt er, dass die Cholera gewütet habe (in Hermann starb aber „nur“ ein Gartmann aus Ilanz, während in St. Louis rund 1000 Menschen starben), die Ernte aber gut gewesen sei. Verschiedene Hochzeiten vermag er zu melden: Margreth Philipp mit Hüttenrauch, ihre Schwester Anna mit Bauer Georg und Jacob Philipp habe eine Büsch aus Maienfeld geheiratet, allen gehe es gut.

Dann schreibt er über die Geschehnisse in Herman.  Wer wie viel Land bebaut und wie viel geerntet wird, wer Nachwuchs bekommen hat (Vetter Georg eine Tochter), wer was für ein Haus baut etc.. Die Brücke über den Fluss sei beinahe fertig, die Hafenanlage werde erweitert, ein Markt soll gebaut werden, ein Schulhaus aufgestellt werden, die Theatergesellschaft spiele Vorstellungen zur Unterstützung politischer Flüchtlinge und dass auch sonst für diese gesammelt werde.

Zum Schluss schreibt er: „Letzthin hörte ich, du hättest gern eine reiche Frau und seiest allenthalben herumgelaufen. Aber sie wollen dich nicht, du seiest zu alt.“

Brief von Johann Sutter an seinen Freund Georg Krättli vom 28. Mai 1850

Er schreibt, dass Samuel Allemann und der Bruder von Georg, Hans, in das Goldland California gereist sind. Dort sollen hunderte von Menschen innerhalb Jahresfrist Gold für mehr als 100’000 $ geschürft haben. Hans ist mit Michel Philipp und einem Ochsengespann unterwegs, Samuel mit Mertens Schenker und einem Pferdegespann.

Den Bekannten gehe es allen gut und man könne es nicht glauben, dass Georg in Vaz bleiben wolle. Die Teuerung sei in den letzten Jahren gross gewesen. Habe man für zwei Ochsen vor drei Jahren noch 30 $ bezahlen müssen, so seien es heute schon 60 $. Die Katholiken hätten eine grosse Kirche gebaut, welche sie wohl oder übel für den Arbeiterlohn wieder verkaufen müssten. Es gebe jetzt auch eine Freimaurerloge in Hermann, welche 35 Mitglieder zähle und im Begriff sei, ein Haus aufzubauen. Er und der Allemann seien auch Mitglieder dieser Vereinigung.

Brief von Peter Krättli an seinen Bruder Georg vom 27. August 1850

Da dieser Brief so interessant ist und um zu sehen wie und was genau jeweils in solchen Briefen geschrieben wurde, wird er hier Wort für Wort abgedruckt:

Lieber Bruder

Dein Schreiben vom Februar erhielt ich am 12. Mai. Hans ist den 30. April nach Kalifornia abgereist in Gesellschaft von Michel Philipp und einem Zürcher. Sie haben den Plan, über Panama zu reisen aufgegeben, weil zu theuer. Sie kauften sich dafür einen Wagen und drei Paar Ochsen, und machen die Reise über die Prärie. Aus allen theilen der Union reisen Leute über die Ebene (Prärie). Die Neuyorker Staatszeitung berichtet, es wären bei Fort Laramie (Festung gegen die Indianer in Wyoming) bis 1. Juli 40’000 mit 8’900 Wagen vorbeigezogen und noch viele waren zurück. Ich glaube dass über Panama noch viel mehr reisen. Wenn es gut geht, erfordert die Reise über die Prärie mit Wagen 4 Monate. Nach Zeitungsberichten soll in Californien ein ungeheures Durcheinander herschen, aus allen Nationen der Erde. Mord und Totschlag sei an der Tagesordnung. Einer schreibt, Leben und Eigentum sei nicht gesichert. Ein anderer, es sei ein unerschöpfliches Goldland, man finde es auf den Berggipfeln wie im Thal und in den Flüssen. 4 Dollar täglich könne ein Mann erwerben wenn er nur gewöhnlichen Strassendreck wäscht. Doch meint er, jeder werde den Tag bereuen, wo die Reise begann. Der Steamer Georgia brachte letzthin 1.5 Millionen Gold von California, das Schiff Cheroke 2.5 Millionen Goldstaub. Der Dampfer California 1.3 Millionen und 180 Reisende. Alle diese Schiffe landeten in Neuyork. Bruder Hans hat mir noch am 12. Mai von Indegence geschrieben, bis jetzt sei alles gut gegangen. Sie werden am 13. die Reise in die Prärie antreten. Er gab mir die Vollmacht über seine Sachen und Gelder zu verfügen. Wir wollen hoffen, er werde auch einer von den Glücklichen sein und in einem Jahr mit Gold beladen in Missouri eintreffen. Ich glaube wenn du damals das Glück gehabt hättest mit Sutter nach California zu gehen, jetzt Millionär wärest. Du wärest gerade zum vollen Topf gekommen. Seither hat man 36 Millionen Dollar daraus geschöpft und etwa die Hälfte nach den Vereinigten Staaten gebracht. Der Congress hat schon seit 7 Monaten beraten ob man California und Neu Mexico als Staaten aufnehmen soll. Beide haben das Gesuch gestellt und sich verpflichtet, die Sklaverei nicht einzuführen. Der Süden will sie einführen, weil er zur Eroberung soviel beigetragen wie der Norden. Deshalb verweigert er die Aufnahme, wodurch diese Gebiete sehr an Ordnung und Gesetzen leiden. Letzthin hiess es, California wolle sich als frei und unabhängig erklären, wenn man im Congress nicht einig wäre.

 

Jedem Mitbürger würde eine monatliche Taxe auferlegt von 20 Dollar, wenn er Gold graben will. Dagegen lehnt man sich auf, weil es viele Fremde hat, es könnte leicht Zusammenstösse geben. Es soll eine Bahn durch die Prärie nach dem stillen Meer gebaut werden, sie wird wohl durch unser County gehen. Die deutschen Kandidaten Bleimer und Bassal sind bei der letzten Wahl als Countyrichter durchgefallen, es wurden englische gewählt. Als Senatoren und Repräsentanten wurden diesmal Whigs gewählt. Präsident Taylor ist plötzlich gestorben und Filmor von Neuyork Präsident geworden. Minnesota ist als neuer Staat aufgenommen worden. Bald wird der Zug dahin gehen, den Jowa und Wisconsin sind abgedroschen. Es will vielen dort nicht gefallen. Der Winter wäre zulange und zu kalt, der Sommer zu kurz und zu heiss, besonders in Wisconsin. Das Korn erfror jedes Spätjahr. Der Hirza Dolf aus Igis soll in Milwaukee sein, es gefalle ihm aber schlecht. In Wisconsin will es mit dem Weinbau nicht gelingen. Dieses Jahr wird die Traube kaum in Missouri reifen. Die Beeren fangen erst an zu schecken, sonst waren sie um diese Zeit fast reif. Wir hatten einen sehr heissen Sommer. 100 Grad Fahrenheit ist man gewohnt. Von Anfang August bis jetzt war es immer sehr heiss, Tag und Nacht, man schwitzte am Schatten mit Nichtstun. Jetzt hat sich die Hitze gelegt, die Nächte sind kühl. Es wird kein gutes Weinjahr geben, die Fäkela und der Honigtau haben viel geschadet, das Laub fällt schon ab. Unsere erste Anlage wird etwas bringen, wir haben 800 Stöcke gepflanzt. Die Äpfel- und Pfirsichbäume brechen fast unter der Last der Früchte, die Pfirsiche werden aber kaum reifen. Das Frühjahr war halt sehr spät. Infolge des langen Winters wurde alles sehr theuer, viel Vieh ist umgestanden infolge Futtermangel. Korn gilt 50, in der Stadt 60 cts., der Weizen 1 Dollar 5 cts. Ochsen und Pferde steigen im Preis sehr stark infolge des Absatzes nach California. Dieses Frühjahr haben wir verkauft: 2 Joch Ochsen zu 55 und 50, ein Paar Stiere zu 24, 4 Kühe a 12, 2 leichte Pferde für 60 Dollar. 15 Bushel[6] Weizen a 1.05 Dollar und mehr als 100 Bushel Korn a 45 bis 50 cts. 15 Bushel Kartoffeln a 30 cts.. Wir fabrizieren auch Schafzieger zu 20 cts. das Pfund (=453 gr). Käse für 12 ½ cts. ferner etwas Wolle, Talg und Butter. Zwei Unterwalliser wollten kürzlich am Gasconade Land kaufen um 50 bis 60 Akre Weinberg anzulegen. Die Hermanner erhalten dieses Jahr wieder die Weinprämie. Daniel hat das Glück 100 Dollar in Gold zu bekommen. Du glaubst Vetter Jörk und der Lenz hangen nicht mehr am Zeitlichen. Das stimmt, faul und gleichgültig, immer kaufen müssen und nichts verkaufen das bringt herunter. Kein Jahr hat er für seinen Bedarf genügend gepflanzt. Die Cholera hat sich wieder gezeigt, aber weit weniger als letztes Jahr. In Hermann ist kein Fall vorgekommen.

 

Ich bin lahm und kann nicht zu Pferde sitzen, ein Pferd hat mich vom Knie bis zum Fuss bös beschädigt, das geschah beim pflügen. Wir hatten dieses Jahr überhaupt viel Unglück. Kaum war der Schwiegervater von langer schwerer Krankheit genesen, sprang am 2. Mai ein schwerer Ochse über die kleine Menga, brach ihr den linken Schenkel und kleinere Quetschungen. Drei Wochen später kam die Menga ins Kindbett, es folgte eine Totgeburt. Sie war nachher sehr schlecht dran. Der Arzt stellte sie jedoch bald wieder her. Den Tod des Kindes schrieben Arzt und Hebamme (von Thusis) dem Schrecken zu beim Beinbruch des Kindes. Jetzt sind wir alle gesund. Die Einwanderung hat abgenommen. Die Abschlachtung (Krieg) wird daran schuld sein. Mittellose politische Flüchtlinge kommen hier viele an. Sie werden unterstützt. Der Festungsbau dient Mihazi von Kanan. In Jowa halten sich viele ungarische Flüchtlinge auf und siedeln sich an. Garibaldi kam letzthin nach Neuyork.

Viele Grüsse an alle von eurem Bruder Peter

Brief von Johann Sutter an seinen Freund Georg Krättli vom 10. August  1851

Samuel Allemann habe zwei Briefe aus Californien geschrieben. Es gehe ihm gut wie auch Hans Krättli. Es sei nicht mehr so einfach zu Gold zu kommen. Personen, welche vor zwei Jahren mit 15 $ Tageslohn nicht zufrieden waren, sind nun froh, wenn sie pro Tag 4 - 5 $ machen.

Trotz den schlechten Zeiten werde Hermann immer grösser. Viele Steinhügel seien in Rebland umgewandelt worden. Johann betreibe im Moment ein Schlachthaus mit welchem er grosse Geschäfte, aber nicht gute, mache.

 

Sutter fragt Georg ob er immer noch ledig sei und nicht gedenke, nach Amerika zurückzukehren.

Brief von Peter Krättli an seinen Bruder Georg vom 24. März 1853

Obwohl er beinahe keine Zeit zum Schreiben finde, müsse er dennoch über sein Wohlbefinden schreiben. Johann Sutter habe eine Herde Rinder nach Californien getrieben und sie dort mit Gewinn verkauft. Dann habe er in Marysville (California) 300 akre Land zu 10 $ ge-kauft um auch nach Gold zu suchen. Dieses Land habe er dem berühmten California-Sutter abgekauft, welcher ihm sehr vertraut war und ihn gerne in seine Dienste nehmen würde.  Johann brachte auch Neues über Hans Krättli, welcher immer noch in den Minen von Jacksonville Gold abbaut und sehr geizig sein soll. Er habe nur einmal geschrieben. Samuel Allemann sei auch immer noch drüben in Californien. Von Michel Philipp wisse niemand etwas, wahrscheinlich sei er tot.

 

Sie planen wieder eine Herde nach Californien zu bringen. Peter hat dazu einen Mann eingestellt, welcher während dieser Zeit für die Farm sorgt. Das Land von Georg habe er für 400 $ auf Kredit an einen Deutschen aus Darmstadt verkauft, sein Name sei Willmann. Bald werde eine Eisenbahn von St. Louis nach dem Stillen Ozean gebaut.

Im Weinbau habe es einige Jahre Fehlernten gegeben, dies sei ein Grund, dass viele Leute nach Californien auswanderten. Dieses Jahr seien auch schon wieder 50 dorthin gereist. Peter hofft, dass die Ernten besser sein werden, wenn sie aus Californien zurück sein werden (je nachdem dauerte das 1 - 2 Jahre). Vielleicht würde sich auch einmal die Zeit finden, die Schweiz zu besuchen, wenn es bis dann die Schweiz überhaupt noch gebe. In der Familie habe es Nachwuchs gegeben, ein Mädchen namens Elisabeth habe das Licht der Welt erblickt. Ein neues Schulhaus sei gebaut worden in welchem ein Lehrer mit 15 $ Monatsgehalt in Deutsch und Englisch unterrichte.

Brief von Christian Krättli an seinen Bruder Georg vom 12. April 1854

Er sei jetzt schon über ein Jahr in First Creek (nähe Hermann) und erwarte sehnlichst einen Wechsel von zuhause da er dringend Geld brauche. Peter habe aus Californien geschrieben. Er sei gesund und kehre sicherlich dieses Jahr noch nicht nach Hermann zurück. Das Vieh sei noch nicht verkauft und er betreibe zusammen mit zwei Zürchern einen Holzhandel mit welchem sie gutes Geld verdienten. Er wolle im Frühjahr das Vieh verkaufen. Eine Kuh koste 110 - 120 $ und ein Paar Ochsen 190 - 200 $. Der Winter sei in Californien sehr streng gewesen und Silvester Krättli und ein anderer Mann hüten das Vieh. Vetter Georg sei in einer Sennerei angestellt und verdiene 60 $ im Monat, habe dazu aber auch freie Kost. Ch. Krättli arbeite in den Minen.

Bruder Hans sei aus Californien zurückgekehrt und habe sehr viel Geld verdient. Er sei aber schwer krank gewesen, so dass ihn beinahe niemand erkannt habe

 

Johann Sutter sei auch zurück aus Californien und habe einiges erlebt. Er sei vor San Franzisko an Bord eines Schiffes gewesen, welches mit 600 Menschen an Bord eine Felsklippe rammte und drohte zu versinken. Aber das Schiff sank nur bis zum Verdeck und alle konnten sich retten. Allerdings mussten sie sieben Tage auf der Klippe verbringen, bis Hilfe kam. Der Platz war eng und zum Schluss war beinahe nichts mehr zu essen da. Jetzt stellt er wieder eine Herde zusammen. Christian und Hans wollen ihn dabei begleiten. Peter soll von Westen her mit Lebensmitteln 600 Meilen entgegenkommen. Man wolle sich Ende Juli treffen.

Brief von Peter Krättli an seine Familie in Untervaz vom 26. August 1861

Er habe nun schon zweimal geschrieben ohne eine Antwort zu erhalten. So versuche er es eben noch einmal. Wie sie wohl schon wissen, sei seit einigen Monaten der Bürgerkrieg im Gange. Er rate ihnen deshalb dringenst ab, nach Amerika zu reisen, da unter anderem im Golf von Mexico Raubschiffe ihr Unwesen treiben sollen.

Die Zeiten seien schlecht und niemand wisse, ob er nicht schon morgen Soldat sein werde.  Tausende von Soldaten passieren Hermann. In Missouri und Virginia seien schon grosse Schlachten geschlagen worden und mancher habe dabei schon sein Leben gelassen. Er werde sich am Krieg nicht beteiligen, solange man ihn in Ruhe lasse oder er dazu gezwungen werde, Soldat zu werden. Es brauche ja schliesslich auch noch Farmer, die etwas anpflanzen, was man später essen kann. Alles was man verkaufe sei billig und alles was man kaufen müsse sei so teuer. Dazu kommen noch Missernten, Schulden und die Gefahr der Plünderung sei gross.

Der Familie gehe es gut und es habe männlichen Nachwuchs gegeben. Vor vier Wochen sei ein Christian auf die Welt gekommen.

Brief von Johannes Krättli an seinen Bruder Georg vom 4. April 1863

Seit zwei Jahren habe er weder einen Brief erhalten noch geschrieben. Es scheine ihm, es gehen wohl auch ab und zu Briefe verloren. Von Bruder Peter habe er schon lange nichts mehr gehört, man wisse auch nicht wie es ihm gehe.

Die Geschäfte im Schlachthaus seien miserabel und im Winter von 1861 auf 1862 sei viel Vieh verendet, da es drei Überschwemmungen gab. Die Häuser seien in gewissen Ortschaften bis zu einem Stockwerk im Wasser gestanden. Im Herbst 1861 hätten sie 800 Stück Vieh gehabt, nach dem Winter waren es noch 150 Stück!

 

Vom Krieg höre man nicht mehr so viel. Der Norden solle 600’000 Soldaten bereithalten. Georg solle auf diesen Brief nicht antworten, da man nicht wisse, ob sie (die Familie von Johann) nicht bald aus Not irgendwo anders hinziehen müssten.

Brief von Menga Krättli an ihren Schwager Johann Krättli vom 12. August          1865

Menga beantworte einen Brief, welchen sie vierzehn Tage vorher von Johannes, welcher in die Schweiz zurückgekehrt ist, erhalten hat.

Der Krieg sei zu Ende und die Confederierten hätten kapituliert. Vater Danuser habe vor ein paar Wochen einen Schuss in ein Bein bekommen. Der Täter sei erkannt und am nächst besten Baum aufgeknüpft worden. Der Sommer sei sehr nass gewesen und es habe beinahe den Zaun weggeschwemmt. Georg war zehn Monate Kriegsgefangener in Texas und erhielt dort nur Wasser und Kornmehl.

 

Sie schreibt noch einiges über Marktpreise von Früchten, das Dampfschiff von Henry Wolf  und informiert Johann über bevorstehende Hochzeiten.

Brief von Christian Krättli an seinen Bruder vom 2. Januar 1866

Er sei immer noch im Viehhandel tätig. Wegen den vielen Überschwemmungen seien die Geschäfte aber nicht so gut gewesen. Der viele Regen habe den Damm von Marisville zum Brechen gebracht, welcher aber mit Müh und Not wieder instande gestellt werden konnte.  Der Matäus Danuser habe sich von Irland eine Frau holen lassen, zwecks Heirat. Er stellte aber die Bedingung, dass diese ihm gefallen müsse. Als die Frau ankam gefiel sie ihm nicht. Er solle gesagt haben, dass sie ein grosses irisches Tier sei und er lieber mit einem Schwein leben wolle als mit dieser. Wahrscheinlich musste er aber dennoch die Reisekosten für die Frau übernehmen. Allemann soll in den Claims von Monte Cristo sein und es solle ihm wieder besser gehen. Dieser Winter sei in San Francisco ein grosses Erdbeben gewesen und die Verwirrung unter der Bevölkerung sei sehr gross gewesen.

Brief von Christian Krättli an seinen Bruder vom 10. März 1867

Christian wundert sich, dass aus der Schweiz keine Briefe mehr ankommen. Er meint, es müssen wohl sehr viele Briefe verloren gehen, es sei aber erstaunlich, dass Briefe aus Amerika ankommen und solche aus der Schweiz nicht. Er schreibt von einem G. G., der letztes Jahr für 20’000 $ Wolle und Schafe verkauft habe, sich aber mit seinem Sohn verkracht habe, welcher für Kleider 35 $ ausgab, obwohl nur 25 $ bewilligt waren. Der Junge sei daraufhin, wohl für immer, verschwunden. Der Alte schaffe es noch so weit, dass er am Ende seines Lebens zwischen seinem Gelde bis an den Hals sitzend noch ausrufen könne: ich habe genug. Überschwemmungen habe es auch wieder gegeben. Neulich sei aus einem Tresor über 12’000 $ gestohlen worden. Als man den Safe öffnete seien noch 45 cents drin gewesen, wobei von diesen auch noch 10 cents falsch gewesen seien. Christian wünscht sich, wieder einmal in die Schweiz zu gehen. Der Weg scheint ihm aber zu weit, da er in der Schweiz sowieso nur wünschen würde, wieder in den Staaten zu sein.

Brief von Christian Krättli an seinen Bruder vom 18. Juni 1874

Der Winter sei hart gewesen, über einen Fuss hoch hatte es Schnee gehabt. Dadurch sei im Frühling durch das Schmelzen des Schnees viel Wasser in die Flüsse gekommen. Da es aber nicht mehr viel Vieh gebe, konnte nicht viel zugrunde gehen, dafür seien ziemlich viele Schafe nicht mit dem Leben davon gekommen. Nachbar Grydly habe ungefähr 8000 Stück Schafe verloren. Er sei aber so reich, dass ihm das nichts ausmache. Er schreibt über alte Freunde, welche gestorben sind, u.a.: „Der Howard (Schlosser) hat auch aufgehört eiserne Tore zu machen, er ist sozusagen im Rausch gestorben, während seine Colegen im Kreis um ihn herum noch frohe Lieder sangen. Es sollte mich nicht wundern wenn Gerste auf seinem Grab gedeihen würde weil der dessen Saft so sehr geliebt.“

Er habe einen Brief von Menga erhalten. Diese schreibe, dass ihrer Tochter Margreht alle Kinder gestorben wären. Amerika steuere stark der Korruption entgegen, es wolle ihn nicht wundern, wenn nächstens das Essen in Frage gestellt werde, da eine Sekte es soweit gebracht hat, dass darüber abgestimmt werden müsse, ob die Wirte Alkohol verkaufen dürfen. Christian wollte auch wissen, ob die Eisenbahnverbindung zwischen Graubünden und Italien bald Tatsache werde oder nicht.

 

Situationskarte des Abschnittes Boeuf des Bezirkes Gasconades (Staat Missouri), wo viele Vazer Auswanderer eine Existenz aufbaute

Informationen aus Familienbibeln und Zeitschriften

Familiengeschichte von Michael Krättli

Die Eltern von Michael waren beide aus Untervaz. Der Vater wurde am 27. Januar 1819 und seine Mutter am 2. Juni 1821 geboren. Die Mutter wurde 55 Jahre alt und starb am 29. November 1876. Der Vater wurde 75 Jahre alt und starb am 9. Juni 1894.

 

1840 heirateten die beiden und wurden vom Pater Christian Morell getraut. Vier Jahre später, im Jahre 1844, wanderten sie zusammen mit der Familie der Mutter nach Amerika aus. Drei Familien, die Philipps, Schindlers und Grubers, begleiteten die Gruppe nach Amerika. Nach den Angaben dieser Quelle, gab es zu dieser Zeit keine Zugsverbindung nach Le Havre, so dass die Auswanderer diesen Teil der Reise mit Pferdewagen hinter sich bringen mussten. Die Seereise mit dem Segelschiff von Le Havre nach New Orleans dauerte 86 Tage und im Juli 1844 landeten alle sicher in Hermann Missouri. Sie kauften sich vom Staat Land in der Nähe von Berger Missouri und begannen es zu roden. Es galt nun zuerst ein Dach über dem Kopf zu haben und so wurden zuerst die Wohnhäuser fertiggestellt. Dann ging es daran, das Land urbar zu machen. Die Produktivität der Äcker war weit über den Erwartungen und ermutigte die Auswanderer, noch grössere Anstrengungen zu unternehmen. So war es ihnen möglich, Vorräte für schlechtere Zeiten anzulegen. Diese Zeiten kamen schneller als erhofft. Im Herbst 1844 starb die Grossmutter und der älteste Bruder von Michael, George, erlitt eine Lähmung, welche ihn für sein ganzes Leben arbeitsunfähig machte. Die Familie fand Trost indem sie sich sagte: „In jedem Leben muss Regen fallen. Einige Tage müssen dunkel und trüb sein.“

 

Im Jahre 1848 kam die Kunde von den Goldfunden in Californien. So brach auch der Onkel von Michael, Michael Philipp, auf, um nach Reichtum zu streben. Auch sein Vater ging 1853 nach Californien, indem er aber auf dem Weg dorthin gleich noch eine Herde Rinder mitnahm, um diese dort mit Gewinn zu verkaufen. Auf der Reise westwärts sahen sie viele interessante Dinge. Vom Fort Leavenworth in Kansas weg gab es kein einziges Haus mehr. Nachher ging es durch Nevada und oftmals musste der Treck anhalten, um Herden von Tausenden von Büffeln passieren zu lassen. Manchmal konnten sie die Sonne nicht mehr sehen, da riesige Grasshüpferschwärme diese verdeckten. Die Reise führte durch die Gebiete von 14 verschiedenen Indianerstämmen. Westlich von Salt Lake City gab es mehr als ein Dutzend Quellen. Das Interessante daran war, dass die Quellen der östlichen Berghänge eiskalt war und das Wasser der westlichen heiss genug war, um Eier darin zu kochen. Im Süden von Nevada gab es 30 Meter hohe Föhren, welche so dicht aneinander standen, dass ein durchkommen mit Pferdewagen undenkbar war. Für den Trip nach Californien brauchten sie gut sechs Monate. Je länger der Vater von Michael in Californien arbeitete, umso überzeugter wurde er, dass er dort bleiben wolle und dass  die Familie nachkommen solle. Er schrieb der Familie, welche sich bereit machte, auch westwärts zu ziehen. Sie wollten gerade aufbrechen, als ein zweiter Brief kam und sie aufforderte zu bleiben, da er auch zurückkomme.

 

Nach seiner Rückkehr kaufte Vater die Hardon Williams Farm. Als der Bürgerkrieg begann meldete sich Michaels Vater freiwillig, um gegen die Sklaverei zu kämpfen. Zu dieser Zeit wurde die Familie von einer schweren Krankheit heimgesucht. Die kleine Anna war zu schwach um zu überleben und starb, nur 10 Monate alt. Kurze Zeit später folgte ihr Elizabeth, welche im blühenden Alter von 13 Jahren starb. Im Frühling darauf machten sich die Familien des Distriktes daran, ein Schulhaus zu bauen, um die Kinder zur Schule schicken zu können.

 

Im Jahre 1863 sah es lange Zeit so aus, als ob die Familie die Farm nicht mehr halten könnte. Zum Glück besserten sich aber die Zeiten und die Farm blieb ihnen erhalten. In diesen Tagen verliess Georg die Familie um nach St. Louis zu ziehen. Er fand dort Arbeit und eröffnete bald sein eigenes Geschäft. Er starb am 14. Januar 1912 und wurde in New Haven Missouri begraben.

 

Jacob heiratete im Jahre 1868 Rosaline Jacob und zog nach Kansas. Dort wurde die Familie aber nicht recht glücklich und kehrte bald nach Missouri zurück. Er starb am 20. September 1911 und ist auch in New Haven begraben worden.

 

Anton verliess das Elternhaus 1871, als er 24 Jahre alt war. Er fand Arbeit in Sullivan Missouri auf einer Farm. Später ging er auf eine Farm in der Nähe von Boles Missouri. Er starb am 21. Februar 1913 und ist in Stony Hill Missouri begraben. Die Familie erhielt Zwillinge welche die Namen Katherine und Margaret erhielten. Katherine heiratete später Bernard Stoecklin und lebte bis zu ihrem Tod in der Nähe von Little Berger. Sie starb am 1. Mai 1933. Ihr Bruder John wurde 65 Jahre alt und starb am 23. März  1917 und liegt in New Haven begraben.

 

Die Schwester von Michael, Mary, heiratete Theophilus Kies in Herman Missouri am 22. Juni 1880. Sie starb am 27. September 1942 und wurde in Bunker Hill Illinois begraben. Während all der Jahre, die vergingen wurden auf der Farm viele Veränderungen vorgenommen. Bessere Ställe und Wohnhäuser wurden gebaut und dem Weinbau wurde spezielle Aufmerksamkeit geschenkt. Die Rebbergen waren der Stolz der Familie und weit herum in der Nachbarschaft bekannt.

 

Michael Krättli selbst wurde am 13. Oktober 1850 geboren und starb am 24. März 1934 in Kansas City.

Die Geschichte der Anna Philipp - Carl

(Die unter Abschnitt „b“ aufgeführten Informationen stammen aus einem Buch über den Ehemann von Anna Philipp, Georg Carl)

Anna Philipp - Carl:

Anna Philipp heiratete am 9. März 1849, 21jährig, den 37jährigen Georg Carl. Sie kam aus der Schweiz, aus dem Kanton Graubünden, und wuchs in einem kleinen Dorf namens Untervaz auf. Untervaz liegt am Rhein rund 15 Meilen unterhalb der Stadt Chur. Ihr Vater hatte eine gutgehende Mühle, welche mit dem Wasser des Rheins (!) betrieben wurde. Die Familie war bekannt und finanziell ohne Sorgen. Eines Tage soll die kleine Anna in den Rhein gefallen und nur durch die Geistesgegenwart ihrer zwei älteren Brüder gerettet worden sein.

 

Warum die Philipp-Familie nach Amerika kam:

Die meisten Europäer, welche nach Amerika kamen, hatten ihre guten Gründe dafür. Da war die immerwährende Kriegsangst, Armut und der selbstsüchtige Adel. Man kam sich vor wie Kanonenfutter. So war die Emigration der einzige Ausweg aus dieser Situation.

 

In der Schweiz war das ganz anders. Da gab es weder Armut noch Adel (!). Die Schweizer waren glückliche und freie Menschen, die in einer freien Demokratie lebten. Das Leben war gut und ein Dach über dem Kopf nie ein Problem. Der Kanton Graubünden, aus welchem die Philipps kamen, war beinahe ein Schlaraffenland. Das Land war fruchtbar und das Klima ausgezeichnet. Die Winter waren mild und alles kam einem Traumland sehr nahe. Niemand war wirklich mittellos. Die Philipps hatten ihre Mühle am Rhein und machten damit gutes Geld und waren vermögend. Der Grund dafür, dass sie all das aufgaben lag darin, dass sie sich in den engen Tälern bedrängt fühlten und von dem freiheitlichen und friedlichen Amerika hörten mit seinen weiten Ländereien. Sie suchten eine Herausforderung, ein Abenteuer.

 

Das grosse Abenteuer beginnt:

Um den 1. April 1844 verkaufte die Familie Philipp ihre Mühle, ihr komfortables Haus und all ihre Besitztümer. Dann sagten sie all ihren Freunden, den grünen Tälern, dem Rhein und den hohen Bergen „Goodbye“ und machten sich daran, mit einem Pferdewagen Richtung Le Havre zu fahren. Ihr Plan war es, über diesen Hafen nach New Orleans zu segeln um von dort aus nach Hermann Missouri zu gelangen. Folgende Personen machten sich auf den Weg:

 

-        Herr und Frau Hans Philipp (ungefähr 44 Jahre alt)

-        Georg Krättli und Dorothea Philipp - Krättli (25 und 23 Jahre alt)

-        Michael Philipp, Jakob Philipp, Lena Philipp, Anna Philipp und Marie Philipp

 

Mindestens drei andere Familien kamen noch mit ihnen mit: Die Krättli-Familie (Familie von Michael Krättli, siehe oben), die Grubers und die Schindlers. Wie schon bei der Geschichte von Michael Krättli erfahren, ging die Seereise 86 Tage und im Juli 1844 landete die Gesellschaft sicher in Hermann. Sie kauften sich vom Staat Land, dass in der Nähe von Berger Missouri war. Für dieses Land mussten sie nur 12 ½ cents pro acre bezahlen. Das Land war sehr hügelig und bewaldet, so dass sie sich schnell an die Schweiz erinnert fühlten. Sie rodeten das Land und bauten Häuser und Ställe. Männer und Frauen mussten hart dafür arbeiten. Der Lohn dafür war jedoch gross, das Land war sehr fruchtbar, viel besser als in der Schweiz.

Georg und Dorothea Krättli-Philipp

Heimweh und Tragödie:

Doch schon bald nach ihrer Ankunft in ihrer neuen Heimat, bekam die Mutter von Anna sehr grosses Heimweh. Sie fühlte sich irgendwie als Gefangene dieser dichten Wälder und hohen Bäume. Die kleinen Wohnhäuser machten sie depressiv. Sie musste immer mehr an die schönen Berge, die frische Luft und an das klare Wasser des Rheins denken. Sie vermisste all ihre guten Freunde so sehr, welche sie nimmer wiedersehen würde. Die extremen Depressionen führten zur körperlichen Schwäche und kurze Zeit später, im Herbst 1844, nur wenige Monate nach ihrer Ankunft in Amerika, starb sie.

 

Die anderen Familienmitglieder, vor allem die Jungen, erholten sich sehr rasch vom Heimweh. Mit der täglichen harten Arbeit konnte man solche Gedanken zerstreuen. Nach einigen Jahren hatten sie sich eine schöne Farm aufgebaut, geniesten ein gemütliches Leben und hatten angenehme Erfahrungen mit Freunden und lieben Nachbarn.

 

Viele Dinge ereigneten sich in den folgenden Jahren. Im Jahr 1848 kam die Kunde von den Goldfunden in Californien. Michael Philipp schloss sich einem Treck ins Goldland an, von wo er nie zurückkehren sollte. Dann brach 1861 der Bürgerkrieg aus und Georg Krättli fühlte sich verpflichtet, auf der Seite der Nordstaaten zu kämpfen. Tragisch waren die Jahre 1861 und 1862. Die 10 Monate alte Anna Krättli starb im August 61 und nur ein halbes Jahr später folgte ihr Elisabeth Krättli, welche erst 13 Jahre alt war.

 

Anna Philipp verlässt das Elternhaus:

Ein Jahr nach dem Tod der Mutter von Anna, heiratete Vater Philipp nochmals. Doch wie es manchmal so ist wenn eine neue Mutter in eine Familie eintritt, die Erinnerung an die richtige Mutter ist so stark und tief, dass Probleme vorprogrammiert sind. Das Unvermeidliche geschah: Anna Philipp, damals 17 Jahre alt, und ihre jüngere Schwester Marie gingen nach Hermann und fanden dort Arbeit als Mägde. Anna bei einer Dame namens Frau Keane. Es soll gesagt werden, dass Frau Keane mit Anna mehr als zufrieden war, sie war sehr stolz auf die Intelligenz und Schönheit ihrer Magd. Anna arbeitete drei Jahre für Frau Keane. Dann traf sie Georg Carl und heiratete diesen am 9. März 1849. Georg Carl war damals 37 Jahre alt.

 

Georg und Anna beginnen zu farmen:

Sie kauften sich Land in der Nähe von McKittrick Missouri und baute sich dort eine Existenz auf. Das ganze war gleich über dem Fluss, in der Nähe von Hermann. Dort lebten sie 16 oder 17 Jahre bis sie 1865 oder 1866 nach Berger Missouri zogen. Die ganze Familie Carl half bei der Urbanisierung des neuen Landes mit und bald wurde es zur neuen Heimat der Carl-Sippschaft. Der Grund für den Umzug nach Berger soll hauptsächlich darin bestanden haben, dass es dort die Möglichkeit gab, die Kinder zur Schule zu schicken.

 

Am Anfang, nach der Hochzeit der beiden, gab es sehr grosse Differenzen zwischen ihnen. Da war nicht nur der Altersunterschied, sie hatten auch eine ganz andere Jugend erlebt. Georg war sich gewohnt, vieles zu entbehren und hart zu arbeiten während Anna eine sorgenfreie und ungezwungene Jugend erleben durfte. Er hatte nie eine Schulbildung erfahren dürfen und sie hingegen war geübt in vielen Fächern, konnte Klavierspielen, singen, tanzen und war kulturell, politisch und geschichtlich interessiert. Zudem war er eher schüchtern und in sich hineingezogen, Anna hingegen strotzt vor Lebensfreude und war sehr offen. Trotz all diesen Gegensätzen sollen sie sich gefunden haben und ein glückliches Familienleben gehabt haben, welches mit 11 Kindern gesegnet wurde. Probleme gab es dennoch. Von Haus aus war Georg Katholik und Anna Protestantin. Sie gaben zwar einander bei der Hochzeit das Versprechen, die andere Konfession zu respektieren. Es gab aber in der Nähe keine protestantische Kirche und Anna fühlte sich dadurch isoliert. Als dann die Methodisten eine Kirche gründeten, trat Anna in diese ein, was zwischen ihr und ihrem Mann zu einem Zwist führte, der über eine lange Zeit dauerte.

 

Verlorene Brüder im Gold:

Beide Familien, die Carls und die Philipps, verloren je einen Bruder auf der Suche nach Gold. Beide versprachen, reich zurückzukehren. Doch von beiden hörten sie nichts mehr.

 

Georg Carl starb, als er 68 Jahre alt war. Der Tod von Anna war nicht zu erfahren.

Ein Bündner Staatsmann in Amerika: Governor Emanuel Lorenz Philipp

Während dem ersten Weltkrieg wurde der Staat Wisconsin von einem Nachkommen Untervazer Auswanderer verwaltet. Er starb im Jahre 1825 und in seinem Nachruf schrieb der Senat des Staates: “Während der schweren Zeit des Krieges hat Governor Philipp den Staat mit Umsicht und Klugheit verwaltet, und unter seiner Leitung hat Wisconsin einen beneidenswerten Stand erreicht.“[7]

 

1849 wanderte der Untervazer Luzi Philipp zusammen mit seiner Frau Sabine Ludwig aus Zizers und 2 Kindern nach Amerika aus. Er übernahm in Sauk County im Staate Wisconsin eine Farm. Emanuel Lorenz erblickte das Licht der Welt am 25. März 1861 und kurze Zeit später zog sein Vater in den Krieg um mit den Nordstaaten gegen die Sklaverei zu kämpfen. Er kehrte nach drei Jahren schwer verwundet davon zurück. Emanuel arbeitete die ganze Zeit seiner Jugend auf der Farm und ging auch für ein paar Monate pro Jahr zu Schule. Als er 16 Jahre alt war, begann er mit dem Besuch einer höheren Schule, das Geld dafür verdiente er sich, indem er auf der Farm seines Vaters Truthähne züchtete.

 

Mit 21 verliess er die elterliche Farm und wurde Lehrer an einer Landschule. Dann wurde er Mechaniker und später wechselte er zur Bahn und wurde Angestellter an einem Bahnhof. Ab 1882 wurde er Bahnhofsvorstand und es begann ein rascher beruflicher Aufstieg. Im Jahre 1887 ernannte man ihn zum Berater bei der Chicago-Milwaukee & St. Paul Eisenbahngesellschaft und nur ein paar Jahre später wurde er Transport-Agent bei der American Refrigerator Transit Company und der Union Pacific Railroad.

 

Emanuel Philipp war von 1893 bis 1903 Verwalter einer grossen Holztransportgesellschaft am Mississippi. Zu seinen Ehren wurde dort eine Stadt nach ihm benannt: Philippstown. Ab 1897 erhielt er den Auftrag, die Union Transit Refrigerator Company zu reorganisieren und wurde auch gleich zum Präsidenten der Gesellschaft ernannt. Jetzt wurde er auch politisch aktiv. Er wurde Deligierter des Staates Wisconsin und begleitete die Wahlfeldzüge des Staatspräsidenten Theodore Roosevelt (Onkel von Franklin D. Roosevelt) und William H. Taft. 1914 beteiligte er sich selbst an der Wahl zum Gouverneur von Wisconsin und wurde mit grosser Mehrheit gewählt. Es folgten in den Jahren 1916 und 1918 ehrenvolle Wiederwahlen. Die Bürger hatten grossen Vertrauen in seine Politik. Sein Hauptaugenmerk galt, eine Grundlage für die Zusammenarbeit der drei grossen wirtschaftlichen Gruppen, Farmer, Arbeiter und Geschäftswelt, zu schaffen. Ferner unternahm er sehr viel, um den Gegensatz zwischen Stadt und Land abzuschwächen.

 

Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges war die Verwaltung des Staates keine leichte Aufgabe. Aber Philipp soll diese Situation vorbildlich gemeistert haben. Unter anderem soll er Lebensmittelreserven für das Heer angelegt haben, so das die Truppen aus Wisconsin besser und vor allen anderen Staaten ausgerüstet waren.

Seine Gesundheit zwang ihn, nach sechs Jahren Amtszeit zurückzutreten. Es wird ihm nachgesagt, er solle Tag und Nacht wie ein Sklave für Familie, Freunde und Staat gearbeitet haben. Daraufhin siedelte er wieder von Madison nach Milwaukee und arbeitete weiterhin als Präsident der Union Refrigerator Company. Zudem war er auch eine Weile Präsident der Handelskammer von Milwaukee und hatte starken Anteil an der Entwicklung der Stadt. Da er grosse Erfahrung als Geschäfts- und Staatsmann hatte schrieb er auch zwei Bücher: „ The truth about Wisconsin’s freight rates“ und „Political reform in Wisconsin“.

 

Governor Emamuel Lorenz Philipp starb am 15. Juni 1925 im Alter von 64 Jahren in Wisconsin. Sein Nachfolger, Governor Blaine, wusste über ihn zu berichten: „Philipp war ein Mann von bemerkenswerter Ausdauer. Ich achtete ihn hoch als Persönlichkeit von Charakter und als Staatsmann. Mit seinem Tod verliert Wisconsin einen Mann, der ein Beispiel dessen gegeben hat, was durch unablässige und ernsthafte Arbeit erreicht werden kann.“[8]

Brasilien

Brasilien und die Anbaugebiete einiger Rohstoffe im 19. Jahrhundert

Brasilien, das fünftgrösste Land der Erde, wurde 1822 unabhängig von den Portugiesen. Bis 1888 war es ein Königreich. Die herrschende Klasse im Land liess Millionen von Negersklaven aus Afrika importieren, damit diese die „Drecksarbeit“ verrichten konnten. Zwischen 1538 und 1850 sollen zwischen 12 und 18 Millionen Sklaven nach Brasilien verfrachtet worden sein. Als in den späten 40er Jahren des 19. Jahrhunderts die damals grösste Seemacht, England, den Brasilianern mit Wirtschaftssanktionen und -blockaden drohte, falls der Sklavenhandel nicht unterbunden werde, wurde dieser 1850 verboten. Es ging aber wiederum 38 Jahre bis die Sklaverei aufgehoben wurde.

 

Brasilien hatte nun ein Problem, welches es zu lösen galt. Es schossen immer neue und grössere Kaffeeplantagen aus dem Boden und speziell im Gebiet der Provinz Sao Paulo war der Bedarf an Arbeiter ungebremst, da man begann, diese Region wirtschaftlich zu nutzen. Riesige Kaffeeplantagen warteten darauf, bewirtschaftet zu werden. Es gab aber keine neuen Sklaven mehr, da sie nicht importiert werden durften. Nachwuchs unter ihnen gab es sowieso keinen, da es für die Schwarzen natürlich verboten war zu heiraten oder geschweige denn, Kinder zu zeugen. Es brauchte also neue Arbeiter. Da hatte ein bekannter liberaler Geschäftsmann und Politiker dieser Region, Senator Nicolau Pereira da Campos Vergueiro, eine Idee. Man könnte armen Bauern aus Mitteleuropa und Portugal nach Brasilien kommen lassen. Diese könnten hier, mit Kaffeeanbau,  ihre wirtschaftliche Situation verbessern und gleichzeitig eine neue Bevölkerungsschicht für Brasilien bilden. Er erzählte der damals (1852) liberalen Regierung von Brasilien sein Vorhaben und diese Unterstützten sein Projekt finanziell. So liess er 1852 die ersten Auswanderer kommen, welche einen Halbpachtvertrag abschlossen.

 

Der Initiant der Parceria-Kolonisation: Senator Nicolau Pereira da Campos Vergueiro

Die Idee war folgende:

Mittellose Familien sollen aus ihrer schwierigen Situation gerettet werden, indem sie nach Brasilien kommen und dort in einem Vertragsverhältnis Kaffee ernten und diesen dann verkaufen, wobei die Hälfte des Erlöses den Auswanderern und die andere Hälfte den Plantagenbesitzern zu Gute kommen soll. Da die europäischen Familien das Geld für die Überfahrt nicht hatten, wurde dieses zum Teil von den Gemeinden und zum Teil von der Firma Vergueiro vorgeschossen. Die Auswanderer verpflichteten sich, dass Geld innert kürzester Zeit zurückzuzahlen und die Firma Vergueiro ihrerseits gab den Gemeinden die Garantie, jedes Jahr eine bestimmte Rate zurückzubezahlen bis die Schulden getilgt sind.

Der Parceria-Vertrag:

Dies alles mag ja in der Theorie sehr schön tönen, die Praxis sah aber ganz anders aus. Der Halbpachtvertrag wurde in drei Sprachen abgefasst: Spanisch, Französisch und Deutsch. Dies führte dazu, dass die Texte nicht eindeutig identisch waren und so von den Plantagebesitzern und den Pflanzern unterschiedlich ausgelegt wurden. Dazu kam, dass verschiedene Positionen im Vertrag gar nicht geregelt waren oder, wie schon erwähnt, un-klar erschienen. So zum Beispiel die Landreise in Brasilien. Die Auswanderer waren überzeugt, diese sei schon im Preis inbegriffen, was aber von Vergueiro verneint wurde. Oder die Unterkünfte in den Plantagen. Es war nicht ganz klar, ob diese gratis sein sollen oder ob Mietzins verlangt werden darf. Die Kaffeesträucher waren zum Teil in einem miserablen Zustand und gaben lange nicht das her, was man sich erhoffte. Die Leute waren von der langen Reise müde und krank und waren daher nicht voll arbeitsfähig. Dann waren da noch die horrenden Lebensmittelkosten in den Plantagen, welche viel höher waren als in den Städten. Die Auswanderer konnten aber nichts dagegen tun, dass sie nicht in die Stadt durften, um einzukaufen. Die Sklavenhaltermentalität der Plantagenbesitzer war auch nicht einfach aus der Welt zu schaffen. Sie waren es sich nicht gewohnt, mit freien Leuten zu arbeiten. Bei der Abrechnung der Ernte wurde ganz klar zuungunsten der Auswanderer beschissen und auf die Vorschüsse wurde Zins verrechnet, was auch nicht klar geregelt war. Da die Auswanderer nicht aus dem Vertrag heraustreten konnten, solange sie noch Schulden hatten, kamen sie in eine Abhängigkeit hinein aus derer sich die meisten nie lösen konnten. Schliesslich hatten die Untervazer und Fanaser Auswanderer, welche 1855 nach Brasilien kamen, einen Zusatzartikel im Vertrag, welcher besagte, dass alle zusammen auf eine gemeinsame Plantage kommen sollten. Als sie jedoch in Santos ankamen wurden sie auf verschiedene verteilt. Natürlich versuchten die Auswanderer auf ihren Vertrag zu pochen, die Söhne des Senators sagten ihnen aber, dass sie jetzt in Brasilien seien und der Vertrag so ausgelegt werde, wie es ihnen passe. Ausserdem war da der Artikel 10 des Vertrages, welcher besagte, dass die Firma Vergueiro das Recht habe, die Ankommenden auf verschiedene Plantagen zu verteilen. Die Untervazer und Fanaser wurden also folgendermassen verteilt:

Auf die Plantage Ybicaba wurden folgende Personen gebracht:

1.

Daniel Schlittler  

Glarus  

5 Personen

2.

Kaspar Schlittler  

Glarus  

5

3.

Fridolin Glarner  

Glarus  

3

4.

Felix Disch  

Glarus  

1

5.

Alexander Bonadurer  

 Graubünden  

2 (3?Personen

6.  

Bernhard Bühler

Graubünden

5

7.  

Laurenz Krättli  

Graubünden

5

8.  

Joh. Rudolf Krättli  

Graubünden

10

9.  

Johann Krättli  

Graubünden

7  

10.  

Jakob Krättli  

Graubünden

5

11.  

Bernhard Christ  

 Graubünden

7

12.  

Johannes Rupert  

Graubünden

4

13.  

Felix Davatz  

Graubünden

5

14.  

Ursula Bayon  

Graubünden

7

15.  

Thomas Davatz  

Graubünden

13

16.  

Josias Davatz  

Graubünden

1

17.  

Samuel Obrist  

Aargau  

6

18.  

Balz Luck  

Aargau

6

19.  

Jak. Leonz Huber  

Aargau 

6

20.  

Marie Josette Peclat  

Freiburg

10  

21.  

  Gebrüder Berchtold  

Unterwalden

2  

22.  

Konrad Wiesmann  

Zürich

1

23.  

Joh. Jakob Meyer  

Zürich

1

24.  

Heinrich Strassecker  

Zürich

1

25.  

Jakob Stucki  

Zürich    

1

Fazenda „Ibicaba“, gegründet 1817

Folgende 10 Familien kamen auf die Plantage Angelica:

1 Bartholome Jost    Graubünden  6 Personen
2 Johannes Meng    Graubünden 8
3 Peter Räs    Graubünden 6
4 Johannes Wolf   Graubünden 9
5 Joh. Joseph Hug, Vater    Graubünden 5
6 Joh. Joseph Hug, Sohn     Graubünden 3
7 Johannes Vogel    Graubünden 3
8  Adam Vogel  Graubünden 8
9 Heinrich Hepting Graubünden 3
10 Joh. Peter Lienhard Glarus   Zürich 6

Nachfolgende Familien kamen nach Biry:

1  Aug. Wahl  Graubünden  9 Personen
2 Laurenz Bürkli   Graubünden  4
3 Michael Bürkli   Graubünden  6
4 Georg Pilat     Graubünden  3
5 Marianna Bäder Graubünden  5
6 Joseph Valentin Heizmann Graubünden  4
7  Joh. Isidor Heizmann  Graubünden  8
8 Martin Heizmann Graubünden  4
9 Matthäus Heizmann   Graubünden  8
10  Peter Heizmann   Graubünden  3
11 Peter Galliard    Graubünden  5
12 Joseph Bürkli     Graubünden  4
13 Christian Tanner  Graubünden  5
14 Magdalena Jsler    Graubünden  7
15 Tobias Fricker Graubünden  4
16 Barbara Wilhelm Graubünden  1
17  Fridolin Gyger   St. Gallen      7

Wenn man diese Listen mit den Namen vergleicht, welche Vorschüsse erhielten, so sieht man, dass die ganze Sache nicht aufgeht. 23 Untervazer Familien erhielten von der Gemeinde Vorschüsse, auf die Plantagen wurden aber nur 21 Vazer Familien aufgeteilt. Es gibt einen Adam Vogel, welcher mit 8 Personen ankam, der von der Gemeinde keine Vorschüsse erhielt. Dagegen finden wir Namen wie Rudolf Päder, Lorenz Pilat sowie Sabina und Anna Heizmann, welche wohl auf der Vorschussliste zu finden sind, aber nicht auf die Plantagen verteilt wurden. Es ist gut möglich, dass diese direkt nach der Ankunft in Santos einen anderen Weg einschlugen. Gesichert ist allerdings nichts.

 

Wenn man die Dinge hört, mit welchen die Emigranten in Brasilien zu kämpfen hatten, fragt man sich, wieso diese überhaupt dorthin gingen. Die ersten Auswanderer gingen nämlich schon 1852 nach Brasilien und unsere Leute folgten erst drei Jahre später. Folgende Gründe könnte eine Rolle gespielt haben:

-      Die ersten Auswanderer fanden bessere Bedingungen vor (bessere Kaffeesträucher)

-      Negative Berichte der Auswanderer wurden von der Firma Vergueiro, welche die Post   kontrollierte, abgefangen

-      Wer positive Berichte schrieb, wurde entschädigt

-      Der Schweizer Konsul in Brasilien, Perret-Gentil, war verwandt mit dem Hause Vergueiro und schrieb durchaus positiv über die Geschichte

-      Die erste Welle der Auswanderer war in körperlich besserer Verfassung (aber auch von diesen kamen die meisten nicht aus den Schulden heraus)

-      Der  spätere Wechsel in der Brasilianischen Regierung, von liberal zu konservativ, führte dazu, dass die Einwanderung von Kaffeepflanzern finanziell nicht mehr     unterstützt wurde, was die Firma Vergueiro finanziell umso mehr belastete

 

Ein weiterer Grund dafür, dass es Schwierigkeiten gab, lag darin, dass man möglichst grosse Familien auf den Plantagen wollte, damit diese einen umso grösseren Kaffeeberg bearbeiten können. Dies führte dazu, dass man „Familien“ bildete, mit Nachbarn, Freunden usw. Es ist natürlich klar, dass dies zu Spannungen innerhalb einer Gruppe führte, was der Produktivität nicht gerade förderlich war. Dazu kam noch das aussergewöhnliche Klima. Die extreme Feuchtigkeit war nicht gerade arbeitsfördernd. Zu guter Letzt muss natürlich auch erwähnt werden, dass sich viele Familien der Illusion hingaben, ihn Brasilien fliesse Milch und Honig und man müsse nichts tun. Dies war zwar durchaus möglich, dass man nichts tun musste, damit wuchsen aber die Schulden ins Unermessliche.

 

Schauen wir einmal genauer an, wie die Schuldenbeträge bei einzelnen Untervazer Auswanderern sich entwickelte (Angabe der Schulden pro Arbeitskraft):

Ankunftsschulden          Schulden Frühjahr 57 Schulden 1868

J. Isidor Heizmann         234 $ 000 rs                319 $ 400 rs                        188 $ 970 rs

Martin Heizmann           270 $ 000 rs                374 $ 000 rs                        211 $ 525 rs

Mathias Heizmann        236 $ 400 rs                275 $ 800 rs                        200 $ 360 rs

Peter Heizmann             204 $ 800 rs                388 $ 400 rs                        151 $ 550 rs

Joh. Michael Bürkli        196 $ 000 rs                227 $ 400 rs                        Verliess Plantage

 

Wie man ersehen kann, sind die Schulden innerhalb von zwei Jahren (Ankunft 1855) stark gewachsen. Dies lag vor allem an den Zinsbelastungen durch die Plantagenbesitzer auf die vorgeschossenen Beträge, aber auch daran, dass die Pflanzer viele Geräte und Lebensmittel zu überhöhten Preisen kaufen mussten. Dass die Leute aber nicht unbedingt faul waren kann man darin ersehen, dass sie später versuchten, den Schuldenberg abzutragen. Innerhalb von 11 Jahren gelang es den meisten aber nur, ca. 1/3 der Schulden zu tilgen, dass sich damit eine gewisse Resignation abzeichnete, liegt wohl auf der Hand.

Kaffeepflanze

Werkzeuge, welche für den Kaffeeanbau benützt wurden

a)    Fouce (Fuchs)

b)    Facao (Waldmesser)

c)    Amerikanische Axt

d)    Untere Ansicht der Axt

 

Da die Pflanzer eigentlich erst frei wurden, wenn sie ihre Schulden ganz abbezahlt hatten, blieben die meisten sehr lange in Schuldknechtschaft. Viele flohen aber auch von den Plantagen und ihre Spur verlor sich irgendwo. Andere hatten Glück und konnten nach Intervention des Staates auf staatliche Plantagen dislozieren. Wiederum andere (vor allem Obwaldner) bildeten eine eigene Kolonie, Helvetia genannt. Die meisten Familien, welche auf den Plantagen waren, starben aber nach und nach aus. Dagegen ist es sehr schwierig, in der heutigen Zeit Nachkommen von Familien zu finden, die nicht ausgestorben sind. Es gab aber auch solche, die von Anfang an gar nicht auf den Plantagen arbeiteten. Dies waren vor allem Leute, mit handwerklichem Geschick. Wer das Glück hatte, und ausserhalb der Kaffeeplantagen Arbeit als Handwerker zu finden, musste sich um seine Zukunft keine Sorgen machen.

 

Gehen wir aber nochmals darauf ein, was eigentlich dazu führte, dass die Untervazer (und die anderen) Auswanderer auf den Plantagen nicht glücklich wurden. Der eigentliche „Führer“ der Bündner Auswanderer, Thomas Davatz, stellte zusammen mit anderen Pflanzern am 5. Februar 1857 eine Klageschrift auf, welche über Umwege in die Schweiz führte. Das Papier hatte folgenden Inhalt:

Art. 1               

Die Gesellschaft Vergueiro reduziert denjenigen Kolonisten die mit einem Vorschuss der Gemeinde hierher wandern ihre heimatliche Schuld in hiesiger Währung und macht dabei Ansätze wodurch die Kolonisten sehr benachteiligt werden. Der französische oder schweizerische Franken werden manchem zu 377 Reis andern noch bedeutend höher angesetzt.

Art. 2

Wenn ein Kolonist seine Schulden bezahlt, wird ihm seine bezahlte Münze niedriger angeschlagen; 1 Franken nur 320 Reis

Art. 4

Die Gesellschaft Vergueiro rechnet solchen Kolonisten die das Reisegeld von ihren Heimatgemeinden unverzinslich erhalten von Anfang an einen Zins von 6 %.

Art. 5

Obwohl im Kontrakt von einem Kopfgeld nichts bemerkt ist, wird jeder Person über 8 Jahren ein Kommissionsgeld von 10 Milreis zugerechnet.

Art. 6

Den Kolonisten wird von Santos nach der Kolonie ein zu hohes Reisegeld berechnet, obwohl der Transport unentgeltlich erfolgen müsste.

Art. 7

Die Gesellschaft verlangt für ein Haus das am zusammenfallen ist, in dem es bei Regenzeit kein trockenes Plätzchen mehr gibt 12 Milreis Zins, auch von solchen, denen im Kontrakt freie Wohnung versprochen wurde.

Art. 8

Kein Kolonist erhält soviel Pflanzland, dass er daraus alle für den Unterhalt nötigen Lebens-mittel ziehen kann. Tauscht er solche Produkte gegen solche die er nicht selber ziehen kann, zum Beispiel Salz oder Rindfleisch, so will die Gesellschaft davon auch noch die Hälfte. Zudem ist im gegenwärtigen Pflanzland schon Kaffee gepflanzt, sodass keine Lebens-mittel mehr angebaut werden können.

Art. 9

Die Gesellschaft gibt den Kolonisten bei weitem nicht die Hälfte des Reinertrages vom gepflückten Kaffee. 3 Alqueiren Kaffee in der Hülse geben wie Proben beweisen eher 2 als bloss 1 Arroba Gewicht. Und doch wird uns nur 1 Arroba bezahlt, oder auch dies nicht ein-mall, weil ein viel zu niedriger Preis berechnet wird. So wurde uns für den Kaffee von 1855 nur 467 Reis per Alqueire bezahlt, wo uns 1 Milreis gebührt hätte.

Art. 10

Wir sind fest überzeugt, dass die nicht geeichten Maasse, womit unser Kaffee gemessen wird, zu gross sind. Die Waage womit man uns bisher den Speck und den Zucker zuwog ist eine alte zu leichte englische Schiffswaage.

Art. 11

Kaffeebäume verpflichtet sich die Gesellschaft anzuweisen, und nicht solche Pflanzungen in denen stückweise kaum der zwanzigste Teil der Bäume dagegen eine Unmasse von grossen und kleinen Steinen und anderen Bäumen steht.

Art. 12

Die Gesellschaft kann uns jährlich laut Kontrakt nur die Hälfte unseres Verdienstes für die Tilgung der Heimatschuld zurückbehalten, die andere Hälfte sollte sie uns behändigen. Nun schreibt sie uns die zwar zugut aber erst nach einem Jahr und gibt uns alle Monate wenige 2 - 5 Milreis die wir aber verzinsen müssen. Damit können wir aber keine Gelegenheit ergreifen anderswo wohlfeilere Lebensmittel zu erwerben und nöthigen uns so auf ihrer Fazende die theuren Sachen zu kaufen.

Art. 13

Während anderswo der Zucker für 2800 Reis per Arroba verkauft wurde mussten wir 5120 Reis bezahlen. Speck und Fleisch kostet bei uns 240 Reis in St. Joao 120 Reis.

Art. 14

Die Gesellschaft hat versprochen den Pflanzern für den Eigenbedarf vom besten Kaffee zum Selbstkostenpreis zu überlassen. Nun verlangt aber Vergueiro 826 bis 1040 Reis für einen Kaffee von dem man oft die Hälfte wegwerfen muss, während er es beim gelieferten Kaffee bei einer Bezahlung von 405 bis 467 Reis bewenden lässt.

Art. 16

Wer bei der Ankunft in Ybicaba am 8. Juli 1855 6 Milreis bezahlte hatte Anrecht für ein Jahr vom Arzt betreut zu werden. Und nun haben wir schon zum zweiten Mal den Posten von 6 Milreis im Rechnungsbüchlein obwohl seit der ersten Hälfte September kein Arzt mehr hier war.

Art. 17

Josef Meier aus der Schweiz kam am 26. November 1856 mit einem Kontrakt hierher der viel günstiger lautete als die andern. Man ersuchte ihn die schlechteren Bedingungen anzunehmen. Weil er sich darauf nicht einliess, sitzt er seit 2 ½ Monaten hier ohne Wohnung ohne Pflanzland. Hier täte Hilfe sehr not.

Art. 18

Bei Vertragsabschluss macht man die Leute glauben, sie seien bei den guten Verdienstmöglichkeiten in Brasilien bald schuldenfrei. Nach dreijähriger strenger Arbeit ist es aber oft der Fall, dass die Schulden 2 bis dreimal so gross sind als anfänglich. Und wer ohne Schulden und noch mit einer Summe Geld hier herkam, hat nach drei Jahren nicht nur kein Geld mehr, sondern noch grosse Schulden

 

Zu all diesen wirtschaftlichen Klagen kam noch dazu, dass den Kolonisten die religiöse Betreuung fehlte und sie in ihrer Bewegungsfreiheit total eingeschränkt wurden. So durfen sie ohne Erlaubnis des Direktors die Kolonie nicht verlassen.

 

Als man in der Schweiz auf die Not der Auswanderer aufmerksam wurde, reagierte man sehr unterschiedlich. Viele Politiker waren der Meinung, dass die Kolonisten wohl selbst Schuld hatten an der Lage, in der sie sich befanden. Es gab aber auch solche, die energisch ein Eingreifen des Bundesrates forderten.

Der eigentliche Grund, warum der Bundesrat schlussendlich doch noch einschritt und bei der Brasilianischen Regierung intervenierte, lag darin, dass aufgrund der Vorkommnisse in Brasilien die Gesellschaft Vergueiro keine Raten mehr bezahlte und somit die Gemeinden ihr Geld davonschwimmen sahen. Es gab verschiedene Kommissionen, welche die Zustände in Brasilien untersuchten und die Kolonien auch besuchten. Es wurden Bücher geprüft und korrigiert. Am Zustand er Auswanderer konnte aber nicht viel verbessert werden.

 

Thomas Davatz musste das Land Hals über Kopf verlassen, da er des Lebens nicht mehr sicher war und kehrte in die Schweiz zurück, wo er unermüdlich für die Kolonisten kämpfte. Die Firma Vergueiro meldete 1865 Konkurs an und die Schweizer Gemeinden sahen nichts mehr von ihrem Geld. Die Bündner Gemeinden konnten vom Schweizer Agenten von Vergueiro, Paravicini, noch Fr. 7840.-- herauspressen. Verglichen mit den Vorschüssen, die sie geleistet hatten, über 85’000.--, war dies aber nur ein Tropfen auf einen heissen Stein. Wenn man aber zurückblickt, so mag das finanzielle noch einigermassen ertragbar sein. Viel schlimmer sind die vielen Schicksale von hunderten von Menschen, welche voller Hoffnung nach Brasilien gingen und schlussendlich ein Disaster erlebten. Von den meisten weiss man nicht einmal mehr, was aus ihnen geworden ist.

Die Nachfahren unserer Auswanderer

Nordamerika

Während dem 19. Jahrhundert wanderten mindestens 50 Personen aus Untervaz nach den heutigen U.S.A. aus (wahrscheinlich waren es eher 100 Leute). Die Spur aller zu verfolgen, ist ein Ding der Unmöglichkeit, da man von vielen nicht einmal weiss, wann und wohin sie gingen, geschweigen denn herauszufinden, wo ihre Nachkommen heute leben.

 

Da ich wusste, dass die Untervazer vor allem nach Hermann Missouri emigrierten, entschloss ich mich, zuerst dort nach Nachfahren zu forschen. Ich bekam die Adresse eines Wesley Kraettli, welcher der letzte Kraettli mit festem Wohnsitz in Hermann ist. Wesley ist der Urenkel von Georg Krättli und Dorothea Philipp, welche 1844 nach Amerika emigrierten. Der Zufall wollte es, dass zwei seiner Kinder, Marilyn und Ron, im Frühling 1995 in die Schweiz kamen und somit auch in Untervaz waren. Sie waren begeistert von unserem Dorf und konnten es nicht begreifen, dass man diese Gegend verlassen konnte. Ron sagte mir während seines Besuches: „You live in God’s country!“ Vielleicht wissen wir nicht einmal, wie schön es bei uns ist? Von Ron und Marilyn erfuhr ich sehr viel über die Nachkommen der Untervazer Auswanderer, und natürlich speziell über die Krättlis.

 

Ein weiterer Zufall geschah dann im Juli 1995. Tim Philipp, ein Ururenkel der Philipp-Auswanderer kam, zusammen mit seiner Frau Michel, ebenfalls in die Schweiz; es war für ihn schon das zweitemal. Da er, wie auch Ron und Marilyn, Ahnenforschung betreibt, konnte auch er mir viele Informationen über Untervazer in Amerika geben. Im Gegensatz zu Ron und Marilyn, welche beide in der Nähe von St. Louis leben, sind die Philipps dem Staat Missouri nicht treu geblieben. Tim wohnt heute in der Nähe von Athens Georgia, was wiederum in der Nähe von Atlanta liegt.

 

Nach den Angaben, welche mir die Besucher aus Amerika zukommen liessen, sind die Nachkommen der Vazer Auswanderer heute über ganz Amerika verstreut und unterscheiden sich, natürlich, nicht von den übrigen Amerikanern. Ich muss ganz ehrlich zugeben, ich wollte mir zuerst einreden, die Nachfahren unserer Auswanderer seien sicherlich anders. Aber das sind sie mit Sicherheit nicht, sie sind wie sie sind: Sympathische, nette, freundliche Leute, aber ... typische Amerikaner.

 

Da die Auswanderer aus Untervaz sehr kinderreiche Familien hatten und diese Tradition fortgesetzt wurde, kann man mit Sicherheit sagen, dass heute in Amerika mehr Nachfahren von Vazer Auswanderern leben als das Dorf Untervaz Einwohner hat. Auch die Berufe dieser Leute reichen von A - Z. Waren am Anfang praktisch alle noch Farmer, so hat sich das im Laufe der Zeit mit dem Wandel der Wirtschaft und der Gesellschaft ganz klar verändert. Wesley Kraettli, Urenkel der 1844 nach Amerika ausgewanderten Georg und Dorothea Krättli Phlipp mit seiner Frau Elvera und seinen Kindern Marilyn, Duane und Ron

Brasilien

Nachfahren der Vazer Brasilien-Auswanderer aufzufinden war kein leichtes Unterfangen. Zum einen, da man wusste, dass die meisten Familien ausgestorben sind, zum anderen, weil sie ja nur auf Plantagen wohnten, also nicht in eigentlichen Städten oder Dörfer. Doch das Glück war mir hold. Ich erhielt verschiedene Adressen und Telefonnummern von Heitzmanns, welche in Sao Paulo wohnen. Es war aber sehr schwierig mit diesen in Kontakt zu kommen, da bei den ersten drei Familien die ich anrief niemand Englisch konnte und man mich für irgendjemand hielt, der sie belästigen wollte. Schliesslich bekam ich die Nummer einer Gisela Heitzmann. Da dachte ich mir, Gisela, das tönt doch sehr Deutsch. Und siehe da, sie konnte Englisch und Deutsch.

Gisela Heitzmann, Urenkelin von Hans Heitzmann welcher 1855, 16jährig, nach Brasilien kam, mit ihren beiden Söhnen

Gisela ist die Ururenkelin von Martin Heitzmann, welcher 1855 zusammen mit seiner Familie nach Brasilien emigrierte. Sein Sohn Hans war damals erst 16 Jahre alt, ging aber seinen eigenen Weg. Er war nie auf einer Kaffeeplantage. Man weiss nicht viel über ihn, nur dass er am Eisenbahnbau beteiligt war und durch Grundstückgeschäfte später ein sehr reicher Mann wurde. Was aus seinem Vermögen wurde, weiss niemand genau. Da auch er sehr viele Kinder hatte, ist es gut möglich, dass durch ständiges Aufteilen die Teile immer kleiner wurden und somit der Reichtum verflüssigt wurde.

Grab von Hans Heitzmann

Auch hier mischte der Zufall die Karten richtig. Im Frühjahr 1995 reiste Gisela mit ihrem Mann Sergio nach Europa, unter anderem auch nach Zürich. Sie nutzte die Zeit, um am Karfreitag nach Untervaz zu kommen. Zusammen gingen wir aufs Parpaner Rothorn, wo sie zum erstenmal in ihrem Leben Schnee sah und zusätzlich prompt in einen Schneesturm geriet.

 

In Brasilien mobilisierte sie die ganze Verwandtschaft, um Nachforschungen über Nachfahren der Heitzmanns anzustellen. Sie fuhr sogar nach Ibicaba um Informationen zu erhalten, der Weg war aber vergebens. Ein Feuer hatte vor ein paar Jahren alle Dokumente zerstört.

Es war mir nicht möglich, andere Nachfahren von Vazer Auswanderern nach Brasilien aus-findig zu machen. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass noch viele dort sein müssen, alle können ja nicht ausgestorben sein.

Zielsetzung der Arbeit

Als ich mich daran machte, ein Thema für meine Heimatkundearbeit zu finden, war mir von Anfang an bewusst, dass dieses interessant sein sollte, aber nicht zu einer wissenschaftlichen Dissertation führen soll.

Irgendwie kam ich dann zum Thema der Auswanderung, ich weiss gar nicht mehr wie es dazu kam. Auf jeden Fall war es eine Arbeit, die mich ein Jahr lang in Anspruch nahm. Während dieser Zeit habe ich sehr viele Dinge gelernt, die mir vorher völlig fremd waren. Mir geht es bei dieser Heimatkundearbeit nicht darum, detaillierte Aufstellungen zu machen, welcher Vazer wann und wohin auswanderte. Dies wäre, mangels Dokumentationsmaterial, ein Ding der Unmöglichkeit. Ich möchte damit einfach vielen Untervazern die keine Ahnung haben was in ihrem Dorf vor nicht allzu langer Zeit passierte, die Geschichte ein wenig näher bringen. Ich bin nämlich überzeugt, dass wenige Vazer wissen, was vor 150 Jahren in ihrer Gemeinde geschah. Das finde ich aber sehr schade, wenn man bedenkt was für Abenteuer, Schicksale und menschliche Tragödien hinter all diesem Thema stecken.

Dank

Zum Schluss möchte ich all jenen danken, welche mir, in welcher Form auch immer, bei dieser Arbeit geholfen und mich unterstützt haben. Jede Hilfe, war sie auch noch so klein, war für mich von grösster Bedeutung. Speziell danken möchte ich folgenden Personen, ohne die das Gelingen der Arbeit in Frage gestellt gewesen wäre:

Lorenz Krättli (Stotzlenz), Kaspar Joos, Ida Patt, Frau Köhl und Frau Bandli vom Staatsarchiv Graubünden, Silvester Davatz, Georg Jäger, Judith Giger, meinen Eltern Hans und Burga Krättli, meiner Schwester Burga mit ihrer Familie, meinen Brüdern Beat, Hans und Markus mit ihren Familien, meinem Bruder Adrian, Rebecca Göpfert, Sabine Schneider, Betsy Garrett, Timothy und Michel Philipp, Ron Kraettli, Marilyn Clifton - Kraettli, Wesley Kraettli sowie Gisela Heitzmann und ihrer Familie

 

Literatur- und Bilderverzeichnis:

Brief von Simon Benedikt an den Kleinen Rat des Kantons Graubünden vom 24. Mai 1856 (St. A. GR IV 31 C)

-        Untervaz, ein paar Ausschnitte aus seiner Heimatkunde (Archiv der Gemeinde Untervaz)

-        Beschreibung einer Reise von der Tardisbrücke, Kt. Graubünden, Schweiz bis nach Ybicaba, Proving S. Paulo, Brasilien von Thomas Davatz, Schullehrer

         (St. A GR IV 31 C)

-        Bündner Monatsblatt Nr. 3 und 4 1986 S. 77 - 109 „Untervazer Vergangenheit: Auseinandersetzung und Auswanderung“ von Lorzen Krättli (Bündner Kantonsbibliothek)

-        Briefe der Auswanderer aus Amerika (Im Besitz von Daniel Philipp und Magdalena Philipp)

-        Herzlich willkommen in Untervaz (Informationsbroschüre für Neuankömmlinge in        Untervaz)

-        Ein Bündner Staatsmann in Amerika: Governor Emanuel Lorenz Philipp

         von Elisa Perini aus Bündner Monatsblatt 1962

-        The story of George Carl, erhalten von Timothy Philipp

-        Family History of Michael Kraettli, erhalten von Timothy Philipp

-        Die Behandlung der Kolonisten in der Provinz Sao Paulo in Brasilien von Thomas Davatz (St A Gr Bd 249/6)

-        Schweizer statt Sklaven von Béatrice Ziegler (Stuttgart: Steiner Verlag Wiesbaden, 1985)

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[9] Aus: „Bündner Zeitung“ vom 15., 19. und 22. Mai 1846

[10] Brief des Gemeindevorstandes Untervaz an den Kleinen Rat des Kantons Graubünden vom 23. Oktober 1854

[11] Protokollausschnitt der Gemeindeversammlung vom 18. Mai 1856

[12] 1 akre = ca. 40 Aren

[13] Beschreibung einer REISE von der Tardisbrücke, Kt. Graubünden, Schweiz bis nach YBICABA S. Paulo, Brasilien von Thomas Davatz, Schullehrer (Bündner Staatsarchiv IV 31 C)

[14] 1 Buschel = 60 Pfund

[15] Nachruf des Senates Wisconsin zum Tode von Alt-Governor Philipp im Jahre 1825. Aus Bündner Monatsblatt, 1962 „Ein Bündner Staatsmann in Amerika“ von Elisa Perini

[16] Swiss-American Historical Society