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Bericht aus dem Tagi Magazin vom 19.06.1993, Text Erwin Koch.

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In Romanform beschrieben entspricht die Geschichte doch sehr den Vermutungen über die Verwandtschaft mit dem französischen Hof.

EIN EHRLICHER MENSCH WIRD PLÖTZLICH ZUM BETRÜGER.
(Quelle: Text von Erwin Koch, Das Magazin 28)

Kalt war die Welt und nass, als ich heute nacht Schötz erreichte, ein Dorf in einem Gebiet, das die Einheimischen Hinterland nennen, acht Grad östlich von Greenwich. Vorbei an drei Tankstellen und zwei Kirchen, erreichte ich das Wirtshaus zum "Sankt Mauritz". Menschen standen davor. Sie trugen bunte Tücher und quietschten unter Masken. Heute sei Narrenball, sagte einer, Kostüm obligatorisch. Dennoch setzte ich mich in eine Ecke der Stube und wartete. Aus dem Saal nebenan quoll gestaute Fröhlichkeit. Eine Gestalt, blutrot das Gewand, weiss die Maske und ohne Kontur, setzte sich an meinen Tisch. Dampf drang aus ihrem Kleid. Sie schwieg lange und jagte nach Luft, dann hatte ich das Gefühl, sie betrachtete mich aus ihren Schlitzen. Plötzlich, mit schmerzentstellter Stimme, kreischte sie:
"Der Vatikan ist schuld!" Dann hob der Narr eine Hand und spreizte den Daumen ab, der in weissen Stoff gewickelt war.
"Geschnitten?" fragte ich.
"Zertrümmert!" grunzte er.

Und der Blutrote, aus einem Röhrchen, das er sich in den Mund steckte, Coca-Cola unter die Maske führend, begann, von seinem Schmerz zu reden. Am hellen Nachmittag nämlich hätte er sich im Nachbardorf Altishofen hinter der Sägerei von Otto Wigger, Richtung Unterfeldächer, neben die Männer der heimischen Pfyfferzunft gestellt. Dieser Verein, wie alle Jahre, begeht die Altishofer Fasnacht mit einem Umzug durch den Ort, und sein Name, Pfyfferzunft, erinnert an das berühmte Geschlecht der Freiherren Pfyffer von Altishofen, deren edler Spross Karl, Oberst der Schweizergarde im Dienst des Franzosenkönigs Ludwig XVI., am 10. August 1792, als die Revolution das königliche Palais, die Tuilerien, erreichte, den Heldentod nur deshalb verpasste, weil er zur Zeit des Sturms in Luzern im Urlaub war.
"Was hat das mit Ihrem Daumen zu tun?" unterbrach ich.
"Das erfährst du ja eben", antwortete der Rote. Hinter der Sägerei Wigger also, Richtung Unterfeldächer, gab die Pfyfferzunft am Nachmittag einem Heuwagen, den man
am Sonntag durchs Dorf ziehen würde, um Spass ins Leben zu bringen, den letzten Schliff. Ein Häuschen bauten sie auf den Wagen, einen Papiergeier aufs Dach, dessen Flügel, mittels Seilzug, sich bewegen liessen. Das Häuschen trug einen Namen: Dorfkern 2. Und daneben stand, aus Gittern gefertigt, ein Gefängnis. Dann malten die Männer das Zeichen der Raiffeisenbank an den Karren, drei goldene Ahren und einen blauen Schlüssel auf rotem Grund, und das Gemeindewappen von Schötz und die Worte: "Die Millionen vom M. P. sind Eier vom Pleitegeier!"
"M. P.!
"Moment!" befahl er.

Mensch

 

Als die Pfyfferzunft von Altishofen dann ihren Scherz erstmals aus der Sägerei zog, entdeckte sie, dass der Käfig, den sie auf die Bretter gebaut hatte, zitterte. Denn am Umzug soll ein Mensch gefahrlos im Behältnis stehen, und er wird auf seinen Schultern einen Kartongrind tragen, der die Züge eines gewissen Herrn M. P. hat. Und darum beschloss die Zunft, die Gitter mit langen Nägeln besser zu befestigen. Also sei er, sagte der Narr, aufs Fahrzeug geklettert und habe begonnen, die Nägel ins Holz zu schlagen und ihre Köpfe um die untersten Stäbe des Gefängnisses zu krümmen. Beim zweitletzten Nagel passierte es. Der Finger war schwarz und rot. Ich trank mein Bier. Verkleidete lärmten durch den Raum, wankten in die Nacht, um sich zu kühlen, gingen wieder in den Saal, froh und locker zu sein. Der Seltsame an meinem Tisch aber schwieg. Schweiss tropfte aus seiner Maske. Manchmal hob er die Hand, betrachtete den verletzten Daumen, schüttelte, nicht heftig, den Kopf.
"Sie wollten mir", fing ich wieder an, "etwas erklären."
"Was?"
"Von diesem M. P.."

 

Der Rote, trotz seiner Tarnung, schaute sich nach allen Seiten um, schob das Coca-Cola weg. Der herzensbeste Mensch in Schötz war dieser M. P., bis am 4. Mai 1992. Dann, kurz nach 13 Uhr, verliess er, Verwalter der Raiffeisenbank, ohne Nachricht das Dorf. So geschickt M. P. zu geschäften und die Bilanzsumme von Jahr zu Jahr zu steigern verstanden hatte - von jenen sechs Millionen Franken, die er 1969 von seinem Vorgänger übernahm, auf die 95 Millionen zum Zeitpunkt seines plötzlichen Abschieds -‚ so freundlich und leise war er im Umgang mit allen. Kinder, die ihr Gespartes zu ihm brach ten, belohnte er, von Fall zu Fall, mit fünf, mit zehn, mit zwanzig Franken. Der Ruf seiner Güte war grösser als das Hinterland. Selbst aus Emmenbrücke, einem Vorort der Kantonshauptstadt Luzern, kamen Menschen angereist, um sich in Dingen des Geldes mit M. P. zu beraten. Junge Handwerker ohne Vermögen, von keinem Institut für kreditwürdig gehalten, fanden Erbarmen bei M. P.s Bank. Einmal nur in 23 Jahren wies der gute Mensch von Schötz einen Bittsteller ab, und. M. P. plagte noch lange der Gedanke, enttäuscht zu haben. Schötz gedieh. War im Dorf Geld vonnöten, genügte allen der Satz: Der Peter finanziert! Quittungen waren Luxus, sie hätten bloss das Misstrauen belegt. Dann, 1984, baute die Raiffeisen am Dorfkern 2 ein neues, rotes Haus. M. P. zog mit seiner Familie unter die Sichtbalken im vierten Stock, im Erdgeschoss schnellte die Bilanz auf 60 Millionen hoch.

 

Von der Reise hungrig, bestellte ich einen Wurstsalat. M. P., als er sich am 4. Mai 1992 kurz nach 13 Uhr aus seinem Dorf machte - und Frau und Tochter hatten beim Mittagessen, gewöhnlich wie immer, vom Ungewöhnlichen nichts bemerkt-, war nicht nur ein Mann der Prozente, ebenso war er als Kirchmeier dem gerechten Gott verpflichtet. Im Jahr 1973 bereits hatte die Kirchegemeinde Schötz-Ohmstal den jungen Katholiken M. P., Mitglied der einzigen Partei, deren Programm dem Posten eines Kirchenverwalters gerecht wird, der Christlichdemokratischen Volkspartei, ins Amt gerufen. Und Heidi, die Ehefrau aus Ebersecken, als ahnte sie ein Verhängnis, weinte damals leise.
Kirchmeier M. P. erfüllte seine Pflicht mit Lust. Für sechs Millionen Franken renovierten die Schötzer Katholiken Pfarrkirche, Pfarrhaus und die Kapelle des heiligen Mauritius, für zwei Millionen bauten sie ein Pfarreiheim ins Dorf. Und die Kirchgemeinde, deren Verwalter M. P. war, erhielt dabei Kredit bei der Raiffeisenbank, deren Verwalter M. P. war.
"Sie sind wohl dieser M. P. selber, dass Sie alles so genau wissen", sagte ich.
Ein Wiehern schoss aus der Maske. M. P., fuhr der Rote fort, war nicht nur Bankverwalter und Kirchmeier, sondern zu guter Dritt noch Kassenwart der Kranken- und Unfallversicherung Konkordia. Und auch darin brachte der Mensch es zur Meisterschaft, dass ihn der Vorstand des Kantonalverbandes Luzern am 29. Oktober 1991 zu ihrem Präsidenten wählte.
"Ein edler Mensch", stöhnte die Maske, "trotz allem." Und jeden der 30 Vereine im Dorf habe M. P. beschenkt, allein 2000 Franken für das Jubiläumsfaustballturnier der Männerriege. Und nur M. P.s Hochherzigkeit sei zu danken, dass die Feuerwehrmänner alle Jahre im Februar ihre Frauen an die Agathefeier laden konnten, wo die Plastiktücher der Raiffeisen sich gratis über die Tische spannten, drei Ähren und der blaue Schlüssel. "Ein edler Mensch", wiederholte der Fremde, "und keiner in der Musikgesellschaft Eintracht spielte <II Silenzio> so sauber wie er."

Also sprach der Narr sich in Trauer, hob, wenn der Schmerz ihn stach, die Hand und schimpfte auf den Vatikan, der an allem schuld sei, und ich sass stumm über meiner Wurst und hörte zu. Aber M. P. sei nicht nur fromm, sondern auch lustig gewesen. Wenige Wochen vor dem 4. Mai 1992 sei er beim Schötzer Schützenbund aufgetreten, und dann habe er, der etwas zu fett und kurz geraten sei, in der Montur zweier berühmter Sängerwänste, der Wildecker Herzbuben, ein Lied gesungen, das alle Welt kenne: "Herzilein, du sollst nicht traurig sein."
Seltsam war die Welt und kalt, als ich heute nacht Schötz erreichte. Im "Sankt Mauritz" waren die Narren los, und ich dachte, vom Gerede eines Eingeborenen bei Laune gehalten, an das Gute im Menschen. Ich tupfte die Sauce aus dem Teller, als der Rote die heisse Hand auf meinen Arm legte und langsam, als wären sie eine Formel, die Worte sprach: "Die Schötzer hatten Tränen in den Augen, verstehst du?"
"Wegen der Spässe ihres Bankverwalters?"
Kurz nach 13 Uhr, am 4. Mai 1992, verliess M. P., von allen geliebt, das Hinterland. Um 14 Uhr rief er seine Frau an und teilte ihr mit, die Pistole an seiner Schläfe sei geladen, er brauche nur noch abzudrücken. Denn die Gerechtigkeit sei nicht eingekehrt. Die Frau wimmerte in den Apparat: "Was für eine Gerechtigkeit?" Zwei Stunden später, als die Tochter bereits von der Schule nach Hause gekehrt war, rief M. P. wieder an, sagte, er sei im Kanton Tessin, zum Sterben parat. Das Kind schrie. Der Vater beharrte, er müsse von dieser Welt.
Der Frau gelang es schliesslich, Schreinermeister Setz, den Präsidenten des Verwaltungsrates der Raiffeisenbank Schötz, und Verkaufsleiter Frey, den Präsidenten des Aufsichtsrates, ins Bild zu setzen. Die Männer eilten an den Dorfkern und redeten hin und her, schlossen nicht aus, dass ihr Verwalter, Schötzer Frohnatur, sich einen besonderen Scherz erlaubte.
M. P. verbrachte die Nacht in einem Hotel in der Stadt Bellinzona. Er rechnete aus, dass die Beträge der privaten Lebensversicherung, der beruflichen Vorsorge und der eidgenössischen Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) ausreichten, der Familie, die er nun hinter sich liess, ein Leben ohne Mangel und Überfluss zu sichern. Er legte sich ins Bett, die Pistole, die ihm, dem Unteroffizier der Armee, die Eidgenossenschaft vermacht hatte, neben sich.
Am frühen Morgen des 5. Mai 1992, nach einer Nacht ohne Schlaf, hob Heidi M. P. den Hörer vom Apparat, und ihr Mann, noch am Leben, befahl ihr, die beiden Kinder in die Schule zu schicken, er besteige nun den Zug nach Luzern, um sich dort der Polizei zu stellen. Denn einen Selbstmord bringe er nicht fertig. Schreiner Setz und Verkäufer Frey, als sie von M. P.s Umkehr hörten, fuhren in die Hauptstadt und warteten auf die Bahn aus dem Tessin. Endlich, Ankunft 10.46h, stand M. P. vor ihnen, wie sie ihn noch nie gesehen hatten, bleich und gebrochen. Noch dachten die zwei Präsidenten, der Kummer ihres Freundes liesse sich am besten in Schötz bereden, ohne Polizei und Verhör. M. P. aber weigerte sich, ins Dorf zu reisen, trank im Bahnhofbuffet seinen letzten Kaffee, dann ging er zu Fuss durch die Stadt, erreichte an der Kasimir-Pfyffer-Strasse........
"Schon wieder ein Pfyffer!"
"Unterbrich mich nicht", zischte der Narr, "Kasimir Pfyffer war der Sohn von Franz Ludwig, und Franz Ludwig war Hauptmann der päpstlichen Schweizergarde im Jahr 1797, als Napoleon, dieser elende Verräter aller Ideale, Rom eroberte und Papst Plus VI. nach Frankreich verschleppte." "Haben Sie was gegen Napoleon?" foppte ich am Narrenball und meinte die Frage nicht ernst. Der Rote aber warf sich ins Lot: "So wahr ich mir heute den Finger spaltete, so ungerecht widerfuhr die Französische Revolution mit dem Papst. Napoleon, der Korsenlump, verschleppte den Heiligen Vater nur deshalb, weil, primum, Pius VI. Für den hingerichteten Ludwig XVI. eine Totenmesse gelesen und, secundum, den Satz gesprochen hatte: <Wir setzen für die spätere Zeit grosse Hoffnungen auf den Sohn des enthaupteten Königs, von dem wir wissen, dass er gerettet worden ist.>"
"Oder sind Sie vielleicht sogar ein Herr Pfyffer?" Er kicherte.
An der Kasimir-Pfyffer-Strasse 26 erreichte der Raiffeisenbank-Verwalter M. P. aus Schötz das Hauptgebäude der Kantonspolizei Luzern. Der Beamte, der hinter dem Schalter sass und M. P.s Anzeige hörte, fragte, als der Schötzer geendet hatte, ob er sich auch wirklich gesund fühle und dies in jeder Beziehung. M. P. wiederholte, er habe Millionen von Franken unterschlagen

Vielen im Dorf standen Tränen in den Augen, als am Morgen des 6. Mai 1992 Radio DRS die Nachricht ausbrachte, der Verwalter der Raiffeisenbank Schötz sitze in Untersuchungshaft. Die "Luzerner Zeitung" zitierte M. P.s Vorgesetzten, der, trotz aller Enttäuschung, von einem "Bilderbuchverwalter" sprach.
Doch die Tränen der Hinterländer trockneten schnell. Ausgerechnet der M. P., erregten sie sich, musste jeden Sonntag vorne rechts in der ersten Kirchenbank hocken! Und den eigenen Steuerausweis soll er gefälscht haben, damit die Behörde von seinem Reichtum nichts merkt, und 800 erfundene Mitglieder in die Krankenversicherung Konkordia eingeschrieben, deren Beiträge er mit gestohlenem Geld bezahlte, um als bester Kassier im Kanton dazustehen! Hätte der Gauner nicht noch ein halbes Jahr warten können mit seiner Beichte, um dem Jodlerclub Bergglöggli die Herbstreise nach Neuseeland zu finanzieren?
"So gemein ist das Volk?" fragte ich über den Tisch.
"So gemein ist der Pöbel!" sagte der Mann. "Schon 1838!"
"Schon damals?"

Papst Johannes XXIII sprach: Noch heute werde ich die

 

Unterlagen lesen.

 

Im Jahr 1838 bot die Gemeinde Schötz dem Prinzen Louis Napoleon Bonaparte, einem Profiteur der Enthauptung des Franzosenkönigs, das Bürgerrecht an. Pervers, nicht?"
Der Narr verwarf die Arme, schmetterte: ((Gott sei Ludwigs Seele gnädig" durchs "Sankt Mauritz". Plötzlich sprang eine Tür auf, Männer und Frauen kreischten im Saal, eine Kapelle spielte Musik, jemand sang dazu: "Siebentausend Rinder, Rinder, Rinder, im Sommer und im Winter."
Während zehn Wochen verbrachte M. P. die Nächte im Zentralgefängnis Luzern. Tagsüber sass er an der Kasimir-Pfyffer-Strasse und half den Polizeibeamten Emmenegger und Wermelinger, über Akten und Büchern brütend, die sie noch am Abend des 5. Mai 1992 am Schötzer Dorfkern 2 beschlagnahmt hatten. Und je länger er den beiden Männern von seinem Frevel erzählte, desto schöner schien ihm das Leben. Der Schweizer Verband der Raiffeisenbanken beruhigte endlich, kein Kunde brauche um seine Franken zu bangen, denn gross seien die Reserven.
"Aber wo", fragte ich, "blieben M. P.s Millionen?"
Mitte Juli 1992 füllte das Geständnis des Schötzer Raiffeisenbank-Verwalters 300 Seiten Papier. Emmenegger und Wermelinger wunderten sich täglich, denn bei alter Betrügerei während 14 Jahren hatte M. P. an sich zuletzt gedacht, hatte sich kaum mehr als ein Tuffsteinbrünnchen fürs Wohnzimmer und einen Audi 100 2.3 E für die Tiefgarage erlaubt. Und es war den Polizisten, als sei der Spruch von seiner Herzensgüte einst mit Recht durchs Hinterland gegangen. Vielleicht drei, vielleicht vier Millionen Franken hatte der Mann, der zu Widerstand kaum fähig war, wenn jemand ihn um einen Gefallen bat, an alte Menschen verschenkt, 300 000 an drei Geschwister. vielleicht 100 000 an einen Hilfsgärtner. Römisch-katholische Priester in Slowenien und Peru freuten sich an seiner Mildtätigkeit, und M. P. fand, der Schötzer Pfarrer und seine Helfer seien im Grunde unterbezahlt, und so überwies er, der Kirchmeier. ihnen einen Lohn ausserhalb der Norm.
Entdeckte M. P., dass die Kranken. und Unfallversicherung Konkordia, deren Kassenstelle er führte, sich weigerte, Arztrechnungen seiner Kunden zu bezahlen, beglich er, der mit allen fühlte, die Schuld und schwieg. Dutzende von Schötzer Kindern trugen schliesslich teure Spangen am Gebiss, vom Herzensbesten heimlich finanziert.
Doch, vor allem, lebte am Dorfrand, Richtung Nebikon, ein Onkel, zwar Doktor der Rechte, aber mittellos, der sein Leben lang seltsamen Erbschaftsangelegenheiten anhing, die dem Armen kein Geld brachten, nur Schulden und einen Verfolgungswahn. Mit ihm hatte das Unglück begonnen. Ihm schenkte M. P. vier oder fünf Millionen Franken. Aber es war für den besten aller Zwecke: die Gerechtigkeit.
"Dieser Onkel heisst lsenschmid", sagte der Narr, "Moritz lsenschmid." Plötzlich sah ich hinter der Maske zwei kleine. nasse Augen.

Immer leiser war der Erzähler an meinem Tisch geworden, Andacht lag in seiner Rede, und ich beugte mich zu ihm. Dann sprach er so schwach, dass ich ihn nicht mehr verstand.
Zwei Männer, der eine als Kaminfeger verkleidet, der andere als Saddarn Hussein, stritten über den neuen Benzinpreis. Saddam war dafür, der Kaminfeger dagegen, und sie lärmten so laut, dass andere hinzukamen und bald in den Krieg eintraten. Es war Narrenball in der Mitte des Kontinents.
Ich bezahlte Bier und Wurstsalat, bot dem Fremden an, auch sein Coca.Cola, an dem zu ziehen er vergessen hatte, zu übernehmen. Der Rote aber wehrte, er lasse sich nicht bestechen. Dann schwiegen wir, sahen den anderen Narren zu, "Aber was", fuhr ich schliesslich fort, "hat Ihr Daumen mit dem Vatikan zu tun? " Der Mann setzte sich neben mich, drehte den Kopf wieder nach allen Seiten, rutschte näher, hustete den Schleim aus dem Rachen. Dann flüsterte er.
Kalt war die Welt auf der Place de la Revolution, die heute Place de la Concorde heisst, drei Grad Celsius am 21. Januar 1793 in Paris. Um 10.22 Uhr war der Kopf von Ludwig XVI. ab. Robespierre. der Revolutionär, schrieb, 13 Jahrhunderte des Königtums seien damit beendet. Neun Monate später fuhr das Fallmesser auch durch den Hals der Königin Marie Antoinette, Eheweib des Vorangegangenen, Erzherzogin von Österreich und Tochter des deutschen Kaisers Franz I und der Kaiserin Maria-Theresia. Die Toten liessen zwei Kinder in der Zeit: Marie-Therese-Charlotte, 15 Jahre alt, und Ludwig-Karl, geboren am 27. März 1785, also acht Jahre alt, der Thronfolger, der sogenannte Dauphin. Die Königskinder lebten im Kerker des Temple zu Paris, bis das Mädchen am 26. Dezember 1795 in Basel den Gesandten ihres Cousins, des deutschen Kaisers Franz II,, übergeben wurde, der im Gegenzug ein Dutzend bekannter Revolutionäre frei liess. Ludwig-Karl, der zehnjährige Dauphin, starb am 8. Juni 1795 im Revolutionsgefängnis, dünn und krank, so schreibt die offizielle Geschi............
"Nun fangen Sie aber wieder von vorne an!" Mahnte ich.
"Störe die Wahrheit nicht", beschwor der Fremde, "die Wahrheit hat 90 Belege."

Dreissig Männer, jeder auf seine Weise, keiner überzeugend, gaben sich nach dem Tod des kleinen Thronfolgers, dessen Sterben ohne Öffentlichkeit geschah, als Dauphin Ludwig XVII. aus. Der Schlaueste unter den Falschen war ein gewisser Naundorf, der die Rolle so widerspruchslos log, dass erst der Vergleich seiner Haare mit jenen des toten Dauphins den Schlich offenbarte. Dauphins lebten plötzlich an allen Ecken Europas. Einer, der sich Louis Leroy France rufen liess, meldete sich sogar aus New York; ein anderer, Jean Marie Hervagault, verwies auf ein Mal am rechten Bein und gelobte, Papst Pius VI. persönlich, bevor Napoleon ihn verschleppte, habe ihm, und 20 Kardinäle seien Zeugen gewesen, ein Stigma ins Bourbonenfleisch gedrückt, um für alle Zeit den einzigen Dauphin zu markieren. Ich lachte und bestellte, weil mir die Erzählung des Roten ständig besser gefiel, noch ein Bier, und wieder schien mir, dass nichts so unwahrscheinlich sei wie die Wirklichkeit. Der Narr blieb bei seinem Coca-Cola.
Im kalten November 1948, 153 Jahre nach dem Tod des Zehnjährigen im Pariser Kerker, setzte in Oberhallau, Kanton Schaffhausen, ein alter Mann, Karl Spadin, Prediger des Wortes Gottes auf eigene Faust, seine Unterschrift auf einen Bogen Papier. Er und 33 Verwandte versprachen einem Luzerner Juristen, wenn es diesem gelänge, eine längst fällige Erbschaft zu finden, zehn Prozent der Summe, die, so veranschlagten sie, sich mittlerweile auf anderthalb Milliarden Schweizer Franken belief, brutto. Denn der fromme Spadin, gebürtig von Sankt Antönien, Graubünden, sei bei allem, was ihm lieb und wert scheine, der leibhaftige Urenkel des Franzosendauphins Ludwig XVII.
Ich sagte: "Hoppla!"
Zwei Äuglein glänzten.

Freunden des französischen Königshauses sei es nämlich im März 1795 gelungen, den Dauphin aus dem Verlies zu holen, und an seine elende Stelle
 hätten sie ein lungenkrankes Kind gesetzt, dem Dauphin ähnlich, das dann wirklich am 8. Juni verblich.
Der Königssohn aber sei übers Meer geschifft und bei britischen Pflegeeltern gross geworden, Russell von Namen.
Dort, fern der Heimat, auf Schloss Castle Moor, habe man den Thronfolger gezwungen, dem katholischen Glauben abzuschwören
und auch zeit seines Lebens niemandem zu verraten, wer er in Wahrheit sei. Sonst würde er prompt erschossen.
Dann aber, als Napoleon I. Europa durcheinander brachte, habe der Dauphin, Russel genannt, von der Insel fliehen können
 und sei also in die Schweiz nach Sankt Antönien gekommen, wo er, nun als Joseph Franz Rassel, Lehrer wurde
 und zusammen mit der einheimischen Margareta Staupf sieben Kinder hatte.

 

Der tapfere Jurist, der sich im kalten November 1948 aufmachte, den Nachkommen des französischen Thronfolgers zu anderthalb Milliarden zu verhelfen, deren zehnter Teil ihm gerechter Lohn sein sollte, war Dr. jur. Moritz Isenschmid aus Schötz, wo heute nacht Narrenball war. "Herunter von meinem Knie, du schwarzbraune Rosmarie", sang .Saddam Hussein. Dr. lsenschmid, jüngster Sohn des ehemaligen Pfarrsigristen und Gemeindeschreibers von Schötz, Eduard Isenschmid, der 1933 alle seine Ämter aufgegeben hatte, um. als Nationalrat der Katholisch-Konservativen nicht nur mehr dem Luzerner Hinterland, sondern der gesamten Eidgenossenschaft zu dienen, begann seine Arbeit sofort. Aber erst im Sommer 1950 entdeckte er im Buch eines gewissen Dr. de Fontbrune, das er im übrigen für ein Lügenwerk hielt, die Mitteilung, dass die Schwester des Franzosendauphins. die dem Kerkertod nach Österreich ausgewichen war, im Jahr ihres kinderlosen Absterbens, 1851, auf Schloss Frohsdorf in Wiener Neustadt ihrem Beichtvater, dem apostolischen Nuntius Michele Viale, ein Testament zugunsten ihres Bruders zitiert habe, mit der Verfügung, dieses dürfe erst hundert Jahre nach ihrem Hinüberscheiden eröffnet werden. Das müsste also, rechnete damals Dr. lsenschmid, bald geschehen, am 19. Oktober 1951, und er schloss, dass das geheime Papier, dem er nachstellte, im Vatikan verwahrt liege. Um jeder Eventualität zu wehren, fuhr Dr. Isenschmid aber schon ein Jahr vor dem Ereignis nach Italien, am 27. Oktober 1950, Luzern ab: 08.11, Roma Termini an: 22.25. Sechs Wochen blieb er in der Stadt und fand in Kardinal Angelo Mercati, dem Präfekten des vatikanischen Geheimarchivs, einen Menschen, den er in seinem Tagesbericht als "hochedel" wertete. Aber dann widerfuhr Dr. Isenschmid ein Skandal, der ihn die Schwierigkeiten seines Mandates ahnen liess. Es traf nämlich in jenen Tagen im Vatikan der Brief eines gewissen Grafen von Parma aus Amerika ein, der, wie schon Isenschmid, Geheimarchivar Kardinal Mercati daran erinnerte, am kommenden 19. Oktober das Testament der Königstochter zu eröffnen.
"Graf von Parma?"
"Ein Grosskind einer Nichte des Dauphins!"
"Aha"
Aber wenige Tage später, in einer dunklen Novembernacht, wurde der Brief des Parmesen vorn Tisch des Geheimarchivars gestohlen. Ein Dieb war im Vatikan, kein gewöhnlicher. Noch erfasste Dr. lsenschmid den Hintergrund der Tat nicht in ihrer Verästelung. Deshalb fuhr er wieder in die Schweiz und wartete, und je länger er im Hinterland harrte, desto zwingender schien ihm eine Reise in die russische Zone nach Wiener Neustadt, wo einst die Schwester des Dauphins ihre Jahre verbracht hatte. Schliesslich, von den Kommunisten nicht behelligt, erreichte er im Juni 195 i Schloss Frohsdorf. Fürstin Beatriz Massimo, geborene Prinzessin von Bourbon, Infantin von Spanien. die nun das Anwesen nutzte, erlaubte dem Schätzer, in ihren Truhen während Tagen zu wühlen. Allerdings bedingte sich die Edle, sollte Dr. Isenschmid seine Erkenntnis je in Buchform verbreiten, vom Gewinn 15 Prozent netto aus.
So jährte sich am 19. Oktober 1951 der Tod der Königstochter zum hundertsten Mal. Und der Vatikan, statt zu eröffnen, schwieg.
Doch Dr. Moritz lsenschmid, ruheloser Schnüffler für die Gerechtigkeit, wollte der Sache auf den Grund gehen. Am 3. November 1953 reiste er wieder nach Rom, setzte sich vier Wochen lang in die Kantine der päpstlichen Schweizergarde und bat, wer in violetter Bauchbinde zur Nahrung drängte, um Hilfe. Endlich, am 5. Dezember, geschah Wichtiges. Der Jesuitenpater Aquilino Reinert, Beichtvater in der Basilika. des heiligen Petrus, sprach. Nachdem er sich in den vatikanischen Gemächern umgehört hatte, jenen Satz, den Dr. lsenschmid Jahre später in der öffentlichen Urkunde 86/1976 eidesstattlich wiederholen würde: "Geld und Geheimdokument können nur bei Kardinal Canali sein!" Also schrieb der Schötzer Seiner Eminenz Nicola Canali, Präsident des Kardinalrates für die Verwaltung der Güter des Apostolischen Stuhles, Grossmeister des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem, einen langen Brief in italienischer Sprache, den er Canalis Sekretär, Monsignore Giuseppe Curatola, Ehrenkämmerer im violetten Gewand, in die Hände legte. Isenschmid bebte vor Ungeduld.
Eine Woche später beschied Curatola, sein Chef habe den Brief wohl gelesen, sei aber mit einem Geheimtestament nie befasst gewesen, und er, lsenschmid, solle sich deshalb an das Kardinalstaatssekretariat halten, So kam der Mann, seit vier Monaten in Rom, am 10. März 1954 mit den Prälaten Bruno Wüstenberg, Minutant der deutschsprachigen Abteilung, und Giuseppe Zabkar, Sekretär der zweiten Klasse, zusammen, und die beiden Herren setzten ihm auseinander, dass die kinderlose Königstochter Marie-Therese-Charlotte ihrem Bruder, dem Dauphin, nie und nimmer ein Vermögen habe hinterlassen können, denn die Arme sei geradezu bedürftig aus dem Leben geschieden.
Dr. lsenschmid aber, obwohl Katholik und nichts anderes, glaubte der Kurie nicht. Und so überrührte der Schötzer, als er am 21. Mai 1954 von Canalis Sekretär einen Brief erhielt,

 

 Ein Dieb war im Vatikan, kein gewöhnlicher

Dr. Isenschmid bebte.


die Beteuerung. von nichts zu wissen, sofort als hinterhältige Restrictio mentalis, als geheimen Vorbehalt, einen miesen, frechen Juristentrick: Warum sonst hätte der Kardinal ausrichten lassen, unter dem Stichwort Dauphin habe er weder privat noch amtlich, je eine Notiz besessen? Hatte Isenschmid denn je nach dem Dauphin gefragt? Doch wohl nur nach dessen Schwester!
Da ging ihm auf, dass der mächtige Kardinal Canali in Wahrheit der Antichrist war. Dr. Isenschmid schrieb in sein Heft: "Wo bleibt der gerechte Gott?"
"Und wovon hat er gelebt? " fuhr ich dazwischen.
"Wer?"
"Der lsenschmid."
"Spielt das eine Rolle, wenn es um die Gerechtigkeit geht!" fauchte der rote Narr, plötzlich erregt.

 

Dann sah ich das Zittern seiner Hände. Zwischen Hoffnung und Jammer krochen die Jahre dahin. Dr. lsenschmid reiste nach Wien und London und Innsbruck und Rom, forschte und kombinierte, heiratete nie, weihte sein Leben dem Kampf und schrieb Brief um Brief und bekam keine Antwort.
Schliesslich, wieder in Rom, der Sieg. Unvermutet rasch, vielleicht. Denn auf der Karte stand geschrieben: "Seine Heiligkeit empfängt in Audienz: Dr. M. Isenschmid. morgen Freitag um 12.30 Uhr. Der Kammermeister." Noch nie in seinem Leben war der Mann aus Schötz so nervös gewesen. Er ging, als der Heilige Vater am 26. Februar 1960 in den Raum schwebte, in die Knie, küsste dem Papst die Hand, Johannes XXIII lächelte und sprach: "Noch diesen Abend werde ich Ihre Unterlagen lesen." Das war's. Dann sagte er noch, und er klopfte dabei dem Hinterländer, als wäre der ein Dienstkollege, die Schulter: "Coraggio, Dottore! Coraggio, Dottore!" Nur Mut, Herr Doktor!
Zehn Tage später Man habe nichts gefunden. 34 Schweizerinnen und Schweizer, die alle glaubten, Nachkommen des französischen Dauphins zu sein und also, wenn sie richtig überlegten, Multimillionäre, stellten ihren Anwalt Isenschmid. als er nach 20 Jahren der Mühsal in Rom noch keinen Franken gelöst hatte, zur Rede. Dr. lsenschmid beruhigte mit gewählten Worten. Er zehrte vom Ruf seines Vaters Eduard, des ehemaligen katholisch-konservativen Nationalrates, und von der Unterstützung seines Bruders Joseph, des Militär- und Polizeiministers des Kantons Luzern. Bruder Hans, der Gemeindeschreiber in Schötz, hatte sogar, um Moritz weiter durchs Leben zu füttern, auf das eigene Wohnhaus ein Grundpfand in der Höhe von 80 000 Franken verschreiben lassen, 60 000 davon erhielt der Dr. iur. vom Dorfrand. Die Not wurde trotzdem gross, und lsenschmid, dem glatten Redner, gelang es, selbst solche Menschen von der Wichtigkeit seiner Kunst zu überzeugen, die, würden eines Tages die anderthalb Milliarden Wirklichkeit, eigentlich nichts davon hätten, weil sie von harmlosen Alemannen und nicht von Bourbonen stammten. Aber er versprach, Verwandtschaft hin oder her, allen, die ihm Geld liehen, den Segen Gottes nebst einem fetten Zins und das Doppelte oder gar das Dreifache der Einlage, "erst, ab sofort nach .Auszahlung des Erbbetreffnisses". Verlor einer dennoch den Glauben, dass es je soweit käme. erklärte ihm Dr. lsenschmid bei seiner Ehre, dass mit einer Sicherheit von 90 Prozent in einem halben Jahr das grosse Geld eintreffe, Und als wollte er seine Klientschaft zu Demut zwingen, liess er sie am 7. November 1971 im Buffet des Hauptbahnhofs Zürich. erste Klasse, erster Stock, den Satz unterschreiben: "Wir Rassel-Erben sind uns bewusst, dass Dr. Isenschmid für die Bearbeitung des Erbfalles Rassel bis jetzt fast unbeschreiblich grosse finanzielle Opfer gebracht hat, neben der unerhört grossen Arbeitsleistung. Auch wissen wir, dass es sich um einen einmalig schwierigen internationalen Fall handelt."
Der Rote wühlte in seinen Lumpen, fand ein Taschentuch und trocknete sich den Schweiss vom Hals. Dann, in der Manier des Guterzogenen, faltete er den Stoff fünfmal, und mir schien für einen Augenblick, als seien die Buchstaben M und I ins Gewebe gestickt.
"Sind Sie Moritz Isenschmid?" fragte ich. Ein Zucken fuhr durch seine Postur. Der Narr starrte mir ins Gesicht, schwieg und schnaubte, dann schimpfte er: "Der Moritz geht an keinen Maskenball!" Nun blieb er stumm. Die Figuren nebenan einigten sich auf die Schädlichkeit von teurem Benzin, und ich überlegte, wie ich den Trotz des Erzählers verdünnen könnte, Schliesslich bestellte ich drei Deziliter Rotwein, schob dem Fremden Flasche und Glas vor die Maske. "Wie weiter?" sagte ich.
Am 7. Dezember 1973, Dr. Isenschmid plagte sich bereits zum neunten Mal durch Vatikanien, bekam der Mann aus Schötz vom Sekretär Seiner Exzellenz Giovanni Benelli. Substitut im Kardinalstaatssekretariat, heftig bedeutet, dass der Vatikan sich nie nie nie mehr mit seiner Angelegenheit zu befassen wünsche Die Sache sei deshalb zur Causa gravis erhoben worden, und nur der Heilige Vater persönlich könne daran noch etwas ändern, basta, Dottore.
Der Schrecken. hätte für den Hinterländer nicht grösser sein können. Sein Werk, auf 90 schriftliche Beweise angewachsen, war zerstört, jede Hoffnung entwurzelt. Was nur würde er den Erben des Joseph Franz Rassel, seinen Auftraggebern, erzählen? Und was würde man im Dorf über ihn reden? So wandelte er, die Depression im Gesicht, durch die Hallen, als er, Gott ist allmächtig, einen alten Freund aus Studien tagen erkannte, den Kommandanten der päpstlichen Schweizergarde, Glied der päpstlichen Familie und Kammerherr Seiner Heiligkeit, Dr. jur. Franz Pfyffer von Altishofen. Oberst Pfyffer winkte den Schötzer in sein Büro und setzte einige Worte in die Welt, die ihm, so würde lsenschmid es später zu Papier bringen, schier das Herz stillstehen liessen. Pfyffer von Altishofen also sprach: "Von hoher und kompetenter Seite habe ich erfahren, dass du recht hast!"
Dr. lsenschmid notierte: "Wo der Teufel ist, da ist auch Gott."
Doch Oberst Pfyffer, als er zwei Jahre später seinen Satz schriftlich wiederholen sollte, um Isenschmid ein Beweisstück mehr zu liefern, berichtete bloss, an den genauen Inhalt dessen, was ihm damals mitgeteilt worden sei, vermöge er sich natürlich nicht mehr zu erinnern.
"Ein Feigling?"
"Ein edler Mensch". antwortete der Fremde, "vom Vatikan zum Schweigen gebracht. Wieder strichen nutzlose Jahre dahin. Die Schweizer Justizminister in Bern, die Aussen- und Innenminister liessen verlauten, man könne Dr. Isenschmid auch auf diplomatische Weise nicht helfen. Ein Erfolg am Gerichtshof von Den Haag sei sehr unwahrscheinlich. Das Geld war aus, und die Menschen, die ihm vertraut hatten, redeten plötzlich von Betrug. "Sie erkühnen sich zu schreiben", musste Dr. Isenschmid gegen Fräulein B. das Geschütz auffahren, "dass ich Ihnen das Darlehen seinerzeit ziemlich erpresst habe. Diese unwahre Behauptung ist gesetzeswidrig! Sie verstehen, was ich damit andeuten will." Das Unglück wurde Dr. lsenschmid zum Schatten. Übergab er am 28. September 1978 um 12Uhr mittags der Vatikanpost einen Brief, eingeschrieben wie immer, an Papst Johannes Paul I, in dem er, um dem Heiligen Vater einzuheizen, von der elenden Armut der Schweizer Dauphinerben schrieb, so lag der Priesterkönig am anderen Morgen tot im Bett. Oder wartete Dr. lsenschmid im Juli 1980, zum sechzehnten Mal in Rom, hoffnungsgeladen auf den polnischen Erzbischof Deskur, der, so ging die Rede, zum Polenpapst Wojtyla beste Beziehungen pflege, so musste der Schötzer erfahren, dass der wichtige Mann, den heimzusuchen er nach Rom gekommen war, nicht in Rom weilte, sondern in Oberägeri zur Kur, 60 Kilometer neben Schötz. Und glaubte schliesslich der Jurist im Mai 1981, die Gerechtigkeit sei übermorgen schon hergestellt, weil ihm der Bischof von Solothurn versprochen hatte, die 90 gesammelten Papiere dem Papst vorzulegen, wenn der nächstens in die Schweiz käme, so schoss ein gedungener Türke den Heiligen Vater drei Tage vor der Reise transportunfähig. "Pass doch auf", schrie der Rote, weil die Serviertochter. Lady Diana, an den gespaltenen Daumen stiess. "Zwetschge!"
Als die Gerechtigkeit zu scheitern drohte, im Herbst 1978,wurde M. P., Verwalter der Raiffeisenbank und Kirchmeier in Schötz, zum Betrüger. Dem Flehen seines Onkels hielt er nicht mehr stand. Also stahl er, vom Teuflischen im Kirchenstaat längst so überzeugt wie der, der ihm davon seit Jahren berichtet hatte, 20 000 Franken vom Baukonto seiner Kirchgemeinde. Nicht für lange, dachte M. P.. Denn der Onkel hatte versichert: "Wenn ich recht beraten bin, so erhalte ich diesen Monat noch offiziellen Frohbericht aus dem Vatikan." Nach der Probe der Musikgesellschaft Eintracht, in der M. P. das Cornet spielte, so rein wie kein zweiter, fuhr der Bankverwalter, das Geld über dem Herzen, an den Dorfrand, Richtung Nebikon. Er sei der herzensbeste Mensch auf Erden, lobte Dr. Moritz Isenschmid seinen Neffen, als er die Beute in Händen hielt.
Doch die 20'000 der Römisch-Katholischen allein flickten die Weltgerechtigkeit nicht, und Dr. lsenschmid bat den Mann von der Raiffeisen um christliches Mitleid, Monat für Monat während 14 Jahren, regelmässig um einige tausend, oft um viel mehr. Vier- oder fünf Millionen. Denn Unzählige im Hinterland vom Reichtum der französischen Königstochter verführt, hatten Nationalrat Isenschmids Moritz ihr Geld gelassen, und der Jurist, um Zinsen und Zinseszinsen zu bezahlen, war ständig in Verzug. Betreibungen, zwischen 1980 und 1992 allein 22, machten den Kampf gegen die Kardinäle zur Lebensschlacht. Der Neffe am Dorfkern 2 aber, der den Krieg finanzierte, täuschte seine Aufsichtsräte und Revisoren elegant, schob Zahlen von der Bank zur Kirchgemeinde, zur Konkordia und zurück, fälschte Rechnungen und Unterschriften und Stempel, ein Werk, das ihn täglich drei Stunden Sünde kostete, bis er am 4. Mai 1992, kurz nach 13 Uhr, als er an den Sieg des Guten nicht mehr glaubte, sein Dorf verliess, und so, Spass muss sein, der Pfyfferzunft in Altishofen günstigen Anlass lieferte, einen Fasnachtswagen zu bauen. Über den Käfig schrieben sie:

"Auch grossherzige Sponsoren müssen sich ab und zu erholen."
"Warum fragst du nichts mehr?" flüsterte der Narr im blutroten Tuch.

Ich schwieg, dann schwieg auch er, den Daumen, wie das Sinnbild aller Gerechtigkeit, zerquetscht, von der Hand gespreizt.